Der FC St. Pauli verliert mit 1:3 in Paderborn. In einem Spiel, welches komplett durch den frühen Platzverweis für Philipp Ziereis geprägt wurde, zeigte der FCSP aber auch, dass er einem recht ideenlosen Gegner auch in Unterzahl richtig wehtun kann. Allerdings war das Team nur ein einziges Mal wirklich eiskalt. So ist es eine ärgerliche Niederlage, da trotz früher Unterzahl der Beigeschmack bleibt, dass in Paderborn etwas zu holen war. Das ist natürlich richtig bitter, aber macht sehr viel Mut für den Rest der Saison.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Eine Notlösung gegen einen Unterschiedsspieler
Der FC St. Pauli startet mit Adam Dźwigała auf der rechten Abwehrseite, da Luca Zander aufgrund von Fußproblemen fehlte. Diese Position hat Dźwigała zwar bereits häufiger beim FCSP gespielt, aber auch bei diesem Spiel wurde deutlich, dass er im Abwehrzentrum besser aufgehoben ist. Auf der Außenbahn ist einfach mehr Tempo gefordert. Dźwigała konnte das im Spielverlauf mit Zweikampfstärke kaschieren (75% gewonnene Duelle), aber musste auch das ein oder andere Mal seinen Gegenspieler ziehen lassen.
Das ist aber auch nicht weiter verwunderlich, denn meist war sein direkter Gegenspieler Sven Michel. Über den hatte ich ja bereits im Vorbericht ein paar Worte verloren und sogar an Timo Schultz eine Frage zu seiner Spielweise gestellt. Es war zu erwarten, dass Michel mit seiner doch recht unorthodoxen und temporeichen Spielweise für einige Probleme in der FCSP-Defensive sorgen würde. Und so kam es dann auch: Er war der von Ziereis rotwürdig gefoulte Spieler, war der Gegner im Kopfballduell, welches Dźwigała äußerst unglücklich auf Kosten eines Gegentores „gewann“, bereitete das zweite Tor vor und erzielte das dritte Tor höchstselbst. Eine beeindruckende Performance.
Das Problem „Sven Michel“, da bin ich sicher, hätte die Hintermannschaft des FC St. Pauli auch gehabt, wenn sie nicht in Unterzahl geraten wäre. Und ich frage mich ehrlich, ob es auch am Spielverlauf selbst so viel geändert hätte. Denn der SC Paderborn hat sich gegen die Mittelfeldraute des FC St. Pauli etwas einfallen lassen: Sie starteten in einem 3-4-1-2. Bei Ballbesitz zog die hintere Dreierkette enorm in die Breite (hier wäre es interessant gewesen, ob und wie der FCSP darauf gepresst hätte). Auf den beiden Außenbahnen warteten die beiden Flügelverteidiger Justvan und Collins, die durch die enorme Breite der Dreierkette bereits eine kleine Überzahl auf beiden Außenbahnen erzeugen konnten.
Umstellung, die eigentlich keine ist
Der FC St. Pauli hat nach der Roten Karte auf ein 4-3-2 umgestellt. Und eben an dieser Stelle frage ich mich, ob es einen so großen Unterschied gemacht hätte, wenn sie nicht in Unterzahl agiert hätten. Denn üblicherweise ist Kofi Kyereh eher für die Mann- als die Raumdeckung zuständig. In diesem Fall wäre es wohl Ron Schallenberg gewesen, den er nicht aus den Augen verloren hätte. Klammert man in einem „normalen“ Spiel Kyereh aus, weil er mannorientiert agiert, dann muss der Rest des Teams in seinem Raumverhalten in einem, richtig, 4-3-2 spielen und verschieben. So ein großer Unterschied hat sich durch die Unterzahl im Defensivverhalten also nicht ergeben (abgesehen vom vermutlich verändertem Pressingverhalten auf die Paderborner Dreierkette).
Was sich aber natürlich deutlich veränderte durch die Rote Karte, war das eigene Offensivspiel. Denn mit der Herausnahme von Makienok, damit der FC St. Pauli wieder mit einer Viererkette spielen kann, fehlte es vorne schlicht an Personal. Der hohe Druck der Paderborner konnte entsprechend nicht mehr so einfach überspielt werden (erst recht nicht mit hohen Bällen). Im Gegenteil, Paderborn konnte noch mehr Risiko beim Druck auf zweite Bälle und im Pressing gehen.
Ich gehe nicht davon aus, dass der FC St. Pauli viel mehr eigenen Ballbesitz gehabt hätte, da Paderborn den Raum allein schon durch die Überzahl auf den Außenbahnen ganz gut kontrollieren konnte. Aber ich gehe davon aus, dass Paderborn mit den Umschaltmomenten und der Verteidigung der zweiten Bälle ohne den Platzverweis erheblich größere Probleme bekommen hätte.
Der Platzverweis für Philipp Ziereis ist aus meiner Sicht recht eindeutig. Viel mehr als über das Foul ärgere ich mich darüber, wie sehr Ziereis sich beim langen Ball verschätzt hat. Im Nachhinein ist man natürlich immer schlauer und man kann sagen, dass er in der Situation vielleicht einfach die Großchance hätte zulassen sollen, damit das Team mit voller Stärke den Rest des Spiels weiterspielen kann. Aber das lässt sich hier jetzt einfach schreiben. In dem Moment selbst ist die Entscheidungsfindung natürlich erheblich schwieriger und ich würde mal behaupten, dass es viele Situationen gibt, in denen die Hand auf der Schulter des Gegenspieler eher sowas wie eine „erste Kontaktaufnahme“ für einen Zweikampf ist. In diesem Fall war es aber vor allem die unterschiedliche Laufrichtung, die dazu führte, dass Sven Michel in seinem Bewegungsablauf massiv dadurch gestört wurde. Sieht alles ziemlich blöd aus, aber Ziereis ärgert sich vermutlich am meisten darüber, dass er sich bei dem langen Ball so verschätzt hat. Der Rest der Aktion ist unglücklich, aber kann auch einfach echt jedem mal passieren.
(Regelphilosophische Anmerkung Maik: Mich erreichten ein paar „Aber die Doppelbestrafung ist doch abgeschafft?“-Nachrichten. Dies stimmt, wenn es sich bei dem Foul um ein „ballorientiertes Vergehen“ handelt. Das Ziehen an der Schulter ist aber nicht ballorientiert. Wäre es also besser gewesen, Ziereis hätte Michel einfach umgetreten? Ja, wenn denn dann der Ball noch in der Nähe gewesen wäre, hätte der Schiedsrichter zumindest die Möglichkeit gehabt, nur Gelb zu ziehen. Man kann die Regel doof finden, der Schiedsrichter hat hier aber korrekt gehandelt.)
Schütteln, stabilisieren, in Führung gehen!
In den ersten Minuten nach dem Platzverweis mussten sich beide Teams merklich an das nun veränderte Spiel gewöhnen. Natürlich Bombe, dass Nikola Vasilj den Elfmeter hält. Sonst hätte das Spiel auch noch viel beschissener laufen können. Der FC St. Pauli stand nun tiefer als üblich, wirkte aber bis zur Pause sehr stabil. Der SC Paderborn konnte mit dem vielen Ballbesitz nicht so richtig was anfangen und schaffte es schlicht nicht das Spiel zu verlagern, obwohl sie die Überzahl auf beiden Seiten hatten. Klar, gegen tiefstehende Gegner ist es immer schwer, aber wenn mich in den 97 Minuten eines nicht beeindruckt hat, dann war es das Spiel des SC Paderborn im letzten Drittel.
Der FC St. Pauli fand mehr und mehr zu so etwas wie einer Stabilität in der Defensive und ab der 20.Minute gab es erste zaghafte Umschaltmomente. Meist reichten hierfür drei Spieler aus: Guido Burgstaller und Kofi Kyereh bekamen Gesellschaft von Becker oder Hartel und schon kam die Paderborner Hintermannschaft ins Schwimmen. Der Konter zum 1:0 ist dann echt großartig gewesen. Alle arbeiten mit einem Kontakt und bewegen sich trotz Unterzahl perfekt im Raum. Urplötzlich wurde aus einem „Wie sollen wir das bloß überstehen?!“ ein „Ey, hier geht heute was!“.
Es ist müßig zu spekulieren, aber was passiert wohl, wenn der FCSP mit dieser Führung in die Kabine geht? Stattdessen leistet das Team massig Schützenhilfe, indem Medić und Dźwigała ein Kopfballduell gegeneinander führen (und Michel eigentlich sowieso einen Kopf zu klein ist, um die Flanke zu erreichen). Der Kopfball war jedenfalls schon bemerkenswert gut platziert.
So ging es mit einem Remis in die Halbzeitpause. Aufgrund eines frühen Platzverweises und einem ansehnlichen Eigentor. Es blieb also das Fazit, welches ich beim letzten Auftritt in Paderborn als Titel wählte: Scheiße am, im und auf dem Fuß (wobei in diesem Fall der Kopf natürlich auch eine gewisse Rolle spielte).
Die Scheiße am Fuß konnten wir dann in der zweiten Halbzeit genauer beobachten. Uwe Hünemeier rutschte weg und Kyereh war auf und davon. Vermutlich war es eine Mischung aus der vielen Zeit, die er auf dem Weg zum Torschuss zum Nachdenken hatte und des doch recht aggressiven Rauslaufverhaltens von SCP-Torwart Huth, die Kyereh am Torerfolg in der 47.Minute hinderte.
Der SC Paderborn hatte zur Halbzeit reagiert und seine Formation auf eine Raute umgestellt, lief also in einem 4-4-2 auf. Das erhöhte den Druck auf den FC St. Pauli doch schon noch ein Stück mehr. Nach der Chance von Kyereh erspielte sich Paderborn gleich eine ganze Reihe an guten Möglichkeiten. Die Führung für Paderborn, sie lag in der Luft, auch wenn Becker in der 62.Minute für die erneute FCSP-Führung hätte sorgen können. Der FC St. Pauli hingegen verlor einfach zu viele Bälle, auch weil die Offensive sich häufig einer SCP-Übermacht entgegenstellen musste (Kyereh verlor ganze 16x den Ball (untypisch: nur eines von neun Dribblings gewonnen), Burgstaller 18x).
So war es dann der kurz zuvor eingewechselte Kai Pröger, der auf Vorlage von Michel aus gar nicht mal so aussichtsreicher Position verwandelte. Keine Ahnung, ob man Vasilj da komplett aus der Haftung nehmen kann. Aber es ist vor allem die erstklassige Bewegung von Michel, die zum Tor führte.
Die Führung sorgte aber nicht dafür, dass der SC Paderborn nun befreit aufspielen konnte, gegen einen vermeintlich bereits müden Gegner. Im Gegenteil: Der eigene Rückstand läutete die beste Phase des FC St. Pauli ein. Von einem Einknicken, nachdem man in Unterzahl erst in Führung gegangen war und lange Zeit auch noch das Unentschieden verteidigte, war nichts zu spüren. Stattdessen drängte nun auf einmal der FCSP auf einen Torerfolg und Paderborn wirkte stark verunsichert. So sehr, dass sogar die Formation auf ein nur defensiv-orientiertes 4-4-1-1 umgestellt wurde. Ich bleibe dabei: Der SC Paderborn hat mich nicht beeindruckt (naja, also abgesehen von Sven Michel, der war schon klasse).
Machen wir es kurz: Frühe Rote Karte, Eigentor, Ineffektivität in der Offensive, drei verletzte rechte Außenverteidiger – Es muss schon ziemlich viel Scheiße zusammenkommen, damit der FC St. Pauli ein Spiel verliert. Das macht Mut.
Immer weiter vor!
//Tim
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Moin. Sehr guter Bericht und am Ende schade mit diesem Ergebnis. Beim Platzverweis muss man auch die Frage stellen, ob das Kommando „Langer Ball“ kam, denn das gibt den Verteidigern immer die Zeit, sich reichtzeitig fallen zu lassen. Die Entscheidung des SR’s ist absolut korrekt und lässt wenig Interpretationsspielraum über. Bei einer Vereitelung einer klaren Torchance gibt es leider auch die Doppelbestrafung. Trotzdem eine gute Leistung unserer Truppe und weiter geht’s….walk on
Ist halt auch echt schwierig gegen Michel zu verteidigen