Ein Blick in die Daten zeigt, dass der FC St. Pauli drei ganz grundverschiedene Spieler für das defensive Mittelfeld in seinen Reihen hat. Das bringt dem Team viele Vorteile, aber es ist davon auszugehen, dass es nicht dauerhaft in dieser personellen Situation weitergehen wird. Zudem zeigte sich gerade am letzten Spieltag, dass es manchmal auch kreative Lösungen benötigt, wenn Spieler ersetzt werden müssen.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Letzte Woche haben wir uns die Unterschiede von Finn Ole Becker, Jackson Irvine und Marcel Hartel genauer angeschaut (hier der Artikel). Es stellte sich eigentlich nur die Frage, ob Irvine oder Becker für das Schalke-Spiel in der Startelf stehen. Die Wahl fiel auf Irvine, da er defensiv nochmal ein Quäntchen mehr ins Spiel bringt als Becker. Mit u.a. 71% gewonnener Kopfballduelle (was gegen die vielen hohen Bälle von Schalke sicher hilfreich war) hat er dann auch seinen Wert für das Team gezeigt.
Dieses Mal gehen wir eine Position zurück und schauen uns die drei defensiven Mittelfeldspieler des FC St. Pauli aus statistischer Sicht genauer an. Wir können aber bereits jetzt vorwegnehmen: Die Unterschiede dieser Spieler sind gewaltig. Alle haben ihre Qualitäten und sind in gewissen Spielsituationen fast unverzichtbar bzw. die bestmögliche Wahl. Schauen wir uns Afeez Aremu, Rico Benatelli und Eric Smith mal genauer an:
Afeez Aremu: Defensiv unverzichtbar
Über die enorme Stärke von Afeez Aremu gab es schon einmal einen Artikel bei uns (könnt ihr hier lesen). Nach schwierigem erstem Jahr hat sich der immer noch erst 22-jährige Aremu zwischenzeitlich einen Stammplatz erspielt. Dabei hat er sich Stück für Stück gesteigert und vor allem in den defensiven Kategorien auf nahezu ganzer Linie überzeugen können. Afeez Aremu ist auch weiterhin der Spieler in der 2. Liga mit den meisten Interceptions und insgesamt den meisten erfolgreichen Defensivaktionen aller Sechser der Liga:
Es ist wirklich bemerkenswert, wie stark Aremu in den defensiven Statistiken ist. Zudem hat er in den letzten Spielen als er in der Startelf stand, auch wesentlich mehr Aktionen mit dem Ball gehabt und schien immer mehr auch die Aufgaben des Sechsers im Spielaufbau zu übernehmen. Das war und ist nämlich weiterhin das Problem von Aremu. Er ist nicht so richtig beteiligt am Spielaufbau, bewirbt sich zu selten aktiv um den Ball, wirkt zuweilen etwas lethargisch.
Das dürfte teilweise an der eigenen Unsicherheit liegen: Aremu ist nach unglücklichen Aktionen auf dem Platz schnell anzumerken, dass er sich erheblich weniger zutraut. Dabei bringt er das gesamte Rüstzeug für ein gutes Aufbauspiel mit.
Sollte sich Afeez Aremu, nachdem er sich nach einem Jahr Anlauf zum besten defensiven Sechser der Liga entwickelt hat, auch im Aufbauspiel weiterentwickeln und seine Verunsicherung ablegen, zählt Aremu endgültig zu den besten Sechsern der Liga. Dann wäre er sogar eigentlich ein bisschen zu groß für die Liga.
Aber das ist Träumerei. Vor allem aktuell, da Aremu mit einer Muskelverletzung im Oberschenkel mindestens bis Jahresende ausfallen wird. An dieser Stelle wünschen wir noch einmal gute Genesung!
Rico Benatelli: Offensiver Taktgeber
Anders, ganz anders als Afeez Aremu wird die Sechser-Position von Rico Benatelli interpretiert. Die Radar-Grafik zeigt dabei auch ganz klar, welche Stärken und Schwächen Benatelli hat:
Es sind wirklich bombastische Werte, die Benatelli da liefert. Er spielt die meisten Pässe aller Sechser, hat die beste Passquote und wird auch am häufigsten angespielt. Gerade der letzte Punkt ist ein großer Unterschied zu Aremu. Denn es ist tatsächlich eine der Stärken von Benatelli, dass er immer den Ball haben will, egal wie schwierig die Lage auf dem Spielfeld gerade ist.
Bemerkenswert ist noch eine weitere Statistik: Rico Benatelli spielt nämlich viele Pässe, aber zumeist sind es eher kurze Abspiele, die kein besonders großes Risiko darstellen. Das könnte man als Vorwurf formulieren. Denn seine Passquote wäre nur deshalb so gut, weil er eben überhaupt kein Risiko im Passspiel eingeht und lieber den Ball zurückspielt oder querschiebt. Die Anzahl seiner Pässe ins letzte Drittel, der progressiven Pässe und der langen Pässe deuten ebenfalls darauf hin. ABER: Niemand hat eine bessere Quote bei Pässen ins letzte Drittel. Benatelli geht im Passspiel wenig Risiko, aber das hilft dem Team, da es weiterhin im Ballbesitz bleibt. Rico Benatelli ist einfach der passstärkste Spieler beim FC St. Pauli. Wenn er auf dem Platz ist, dann gibt es niemanden, der mehr Ballaktionen hat als Benatelli.
Aber die Aufgaben eines Sechser sind eben nicht nur das Passspiel. In den anderen Kategorien stellt sich die Situation ganz anders dar: Kein Sechser der Liga hat weniger erfolgreiche Defensivaktionen pro Spiel als Benatelli. Niemand fängt weniger Pässe ab, 3 von 5 direkten Duellen gehen verloren. Rico Benatelli ist kein physischer Spieler, niemand der hohes Tempo gehen kann und niemand, der in direkten Duellen dagegenhalten kann. Bezeichnend dafür, dass im Spiel gegen Schalke, als Aremu verletzt fehlte, für Smith nicht Benatelli, sondern Jakov Medić eingewechselt wurde. Der FC St. Pauli brauchte in diesem Moment die Physis, nicht die Spielstärke.
Das kann man Rico Benatelli nicht vorwerfen. Zum einen, da er körperlich dem Typus „physischer Sechser“ überhaupt nicht entspricht. Zum anderen, da Benatelli für seine Verhältnisse in der Rückrunde der Vorsaison einen sehr guten Job auf dieser Position gemacht hat, auch in Bezug auf die Defensiv-Statistiken. Seine Werte sind diese Saison so krass, da er in den Spielen meist eingewechselt wurde und der FC St. Pauli dadurch enorm viel Ballbesitz hatte und seine Aufgaben dann auch meist genau das Spiel mit dem Ball waren.
Es ist aber schon krass, wie sehr sich Afeez Aremu und Rico Benatelli unterscheiden. Einer ist eher der typische Abräumer, der andere eher ein Aufbauer (deep playmaker). Das wäre eine wirklich formidable und ligaweit gefürchtete Doppel-Sechs. Wenn da nicht jemand wäre, der beides in Personalunion immer besser ausfüllt…
Eric Smith: Irgendwie alles – aber erst seit kurzem
Ich mache da keinen Hehl draus: Als ich Eric Smith zum ersten Mal für den FC St. Pauli spielen sah, habe ich einen Teil meines Herzens an ihn verschenkt. Aber wieso eigentlich? Klar, Smith hat gute Defensivaktionen und spielt auch tolle Pässe, aber er spielt alles andere als auffällig. Es reicht aber schon ein Blick in die Ergebnisse mit ihm auf dem Platz, um seinen Wert zu erkennen: Von den 12 Spielen, in denen Eric Smith in der Startelf stand, gewann der FC St. Pauli 10 (ein Unentschieden, eine unglückliche Niederlage in Paderborn). Die Quote ist super, aber Smith hatte in den ersten Spielen der Saison 21/22 (als er von vier Spielen „nur“ zwei gewinnen konnte) alles andere als überzeugt, wie die Statistik zeigt:
Nach dem Spiel in Paderborn verletzte sich Eric Smith und fiel fast zwei Monate mit Leistenproblemen aus. Die Daten zeigen, dass er stärker zurückgekommen ist: Seine Leistungen auf dem Platz waren in eigentlich allen Kategorien noch mehr als ausbaufähig nach den ersten Spielen. In den letzten drei Spielen zeigte Smith sich aber stark, ganz stark verbessert. Dabei überzeugt Smith in allen Defensiv-Kategorien (also auch in der Luft) und liefert deutlich über dem Liga-Durchschnitt ab.
Seine größte Stärke lässt sich aber nicht in Statistiken ablesen, zumindest nicht in den mir verfügbaren. Sie ist auch der Grund, warum Smith nicht sonderlich auffällig auf dem Spielfeld agiert und warum ich so verknallt in seine Spielweise bin. Eric Smith erstickt Offensivaktionen der Gegner häufig bereits im Keim durch enorm diszipliniertes und gutes Stellungsspiel. Ich hatte es beim Spielbericht gegen Schalke etwas genauer beschrieben, wie konzentriert die Spielerübergaben im Raum im Mittelfeld funktioniert haben. Dafür verantwortlich ist Eric Smith. Er ist es, der dafür sorgt, dass gegnerische Teams keine Räume finden, um flach aufzubauen. Weil es dank Smith keine Räume gibt, in die hineingespielt werden kann. Egal ob in kompakter Defensiv-Formation oder in defensiven Umschaltmomenten, Smith verknappt den Raum für die Gegner immer sehr effektiv. Dieser Wert ist nicht oder nur ganz schwer messbar, da er nicht mit Ballaktionen verbunden ist. Aber dieser Wert ist unermesslich groß für das gesamte Team.
Aber es ist nicht nur die Defensive, in der Smith überzeugt, es ist auch die Offensive. Vergleicht mal die Radar-Grafiken von Smith und Benatelli. Da wird deutlich, dass beide durchaus unterschiedlich im Aufbauspiel agieren. Denn während Benatelli eher selten Pässe nach vorne spielt, dabei aber eine sehr gute Quote hat, spielt Smith diese Pässe häufiger und geht dabei mehr ins Risiko (was die schwächere Quote zeigt).
Das einzige, was Eric Smith nicht macht bzw. vermutlich auch tempomäßig nicht kann, sind tiefe Läufe und Dribblings. Er ist unter allen Sechsern der Liga derjenige mit der niedrigsten Anzahl an progressiven Läufen. Smith spielt lieber Pässe und steht defensiv stabil. Und das macht er richtig, richtig gut.
Der Blick in die Daten zeigt, dass der FC St. Pauli drei völlig unterschiedliche Spielertypen für die Sechser-Position im Kader hat. Während Afeez Aremu defensiv fast komplett überzeugt, ist Rico Benatelli vor allem ein Garant für Ball- und Spielkontrolle. Eric Smith ist schwach in die Saison gestartet, aber zeigt nun nach seiner Verletzung, dass er eigentlich beide Rollen ziemlich gut ausfüllen kann, quasi eine Art Hybrid auf dieser Position ist. Die Daten zeigen jedenfalls, dass er die beste Wahl auf dieser Position ist und ich habe, wenn ich mir die Daten der letzten drei Spiele von Smith anschaue, niemanden in der Liga gefunden, der besser ist.
Als nächstes knöpfen wir uns dann die Innenverteidigung vor (oder die Stürmer, so richtig ist das noch nicht entschieden). Würde aber auch Zeit werden mit den Innenverteidigern, immerhin machen die auch nen ziemlich guten Job. Einen kurzen Ausblick darauf, findet ihr hier (Twitter).
Es ist schon ein richtig großer Vorteil, wenn ein Klub auf einer Position über mehrere Spielertypen verfügt, die jeweils zu den Besten der Liga in einzelnen Kategorien zählen. Das ist aus Vereinssicht natürlich großartig, aber es dürfte bei den Spielern, die vermehrt auf der Bank sitzen, nicht unbedingt pure Freude auslösen. Vorerst freue ich mich aber darauf, am Samstag in Düsseldorf Eric Smith beim Fußballspielen zuschauen zu dürfen und, wenn es Bedarf an verbesserter Spielkontrolle gibt, Rico Benatelli zu sehen, wie er den Ball von seinen Mitspielern fordert.
//Tim
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Hallo Tim,
ein Vorschlag für ein Thema, auf das du mal deine allwissende Glaskugel hetzen könntest: Viele St.-Pauli-Fans – darunter natürlich auch ich – haben in den vergangenen Jahren diverse Abgänge beweint, beispielsweise Henk Veerman, Mats Möller Daehli, Omar Marmoush, Rodrigo Zalazar, Robin Himmelmann, Leo Östigard oder Viktor Gyökeres. In der Winterpause erscheint die Transferfee und sagt: „Ihr könnt die alle sofort zurückhaben, ich lege euch die kostenfrei unter den Weihnachtsbaum.“ Frage: „Bräuchten“ wir davon jemanden, würde einer der Spieler die Mannschaft in der jetzigen Form tatsächlich sofort und spürbar verstärken? Ich fände es spannend zu sehen, was deine Daten dazu sagen.
Oh ja, das ist ein spannendes Thema. Das werde ich mal mit auf meine Liste nehmen.