Es ist eine echte Luxus-Situation, die sich dem FC St. Pauli auf der Innenverteidiger-Position bietet: Drei Spieler haben dort im bisherigen Saisonverlauf richtig gute Leistungen gezeigt. Aber welches Duo sollte die Stamm-Innenverteidigung bilden, wenn alle drei Spieler fit sind? Und was sind die Stärken der Spieler?
(Titelbild: Peter Böhmer)
Vor weniger als einem Jahr schien ziemlich klar, dass der FC St. Pauli dringend noch Verstärkung in der Innenverteidigung benötigt (hier der Artikel). Die gezeigten Leistungen in den „Kern-Kompetenzen“ waren schlicht nicht ausreichend im Liga-Vergleich. Der FC St. Pauli wurde damals zwar mit der Verpflichtung von Tore Reginiussen noch aktiv, aber es waren andere, die ihre Leistungen stabilisierten und so ihren Teil zur erfolgreichen Rückrunde der letzten Saison beitrugen.
In der Rückrunde der Vorsaison waren es Philipp Ziereis und James Lawrence, die zumeist das Innenverteidiger-Duo bildeten. Aufgrund dieser starken Leistungen konnte davon ausgegangen werden, dass diese beiden auch in der Folgesaison zum Stammpersonal gehören würden. Aber dann kam Jakov Medić zu Saisonbeginn und erspielte sich ziemlich schnell einen Stammplatz mit ligaweiten Bestleistungen (hier der Artikel). Damit rüttelte Medić nicht nur an dieser Hack-Ordnung, er stellte sie auf den Kopf: Plötzlich waren es Lawrence und Ziereis, die um den Platz neben Medić konkurrierten.
Zu Saisonbeginn war Philipp Ziereis neben Medić zu finden. Sein Platzverweis in Paderborn führte aber dazu, dass Lawrence wieder ins Team rückte. Nach zwei Startelfeinsätzen rotierte dieser jedoch wieder raus. Erst durch die Nasen-Verletzung von Medić beim Spiel in Darmstadt, fand das Duo Lawrence/Ziereis wieder zueinander. Seitdem, also die letzten vier Spiele, bilden sie wieder die Innenverteidigung.
Bedeutet das nun, dass Ziereis und Lawrence aktuell vor Medić die Nase (haha, ja) vorn haben? Ein Blick in die Statistiken der drei Spieler zeigt, dass das nicht so einfach ist. Denn alle drei sind richtig gut in Form diese Saison.
Philipp Ziereis – Fairer Kapitän mit vielen Vorteilen
Seit mehr als einem Jahr ist Philipp Ziereis verletzungsfrei. So eine lange Zeit ohne Verletzungen war in den vielen Jahren zuvor fast undenkbar. Was so eine lange Phase ohne körperliche Rückschläge bewirken kann, sehen wir aktuell auf dem Platz: Philipp Ziereis ist so stabil in seinen Leistungen wie vermutlich noch nie in seiner Karriere. Das zeigen auch die Statistiken:
Einen Schritt nach vorne hat Ziereis auch im Aufbauspiel gemacht. Da könnte man nun behaupten, dass das nicht schwer gewesen sei, da er zuvor das Aufbauspiel seinen Mitspielern überließ. Aber: Die Anzahl der Pässe, sowie der Pässe nach vorne (lange Pässe und Pässe ins letzte Drittel) ist überdurchschnittlich. Das erklärt sich auch dadurch, dass der FC St. Pauli auf ein flaches Aufbauspiel setzt und überdurchschnittlich viel Ballbesitz hat. Wichtiger hierbei ist die Quote. Die ist leicht unterdurchschnittlich. Das könnte daran liegen, dass Ziereis entweder etwas zu häufig ins Risiko geht oder seine Zuspiele zu ungenau sind. Ein weiterer Grund könnte aber auch sein, dass er aus der halbrechten Position nicht Marcel Hartel vor sich hat (ich gehe von einer Mischung aller drei Faktoren aus).
Kein Innenverteidiger der Liga foult weniger als Philipp Ziereis. Das mag auf den ersten Blick nicht so wichtig erscheinen, aber gerade dort, wo Innenverteidiger in der Regel Zweikämpfe führen, sind Fouls meist gleichbedeutend mit gefährlichen Standard-Situationen. Auffällig ist zudem, dass Ziereis sehr gute Statistiken bei den Zweikämpfen vorweisen kann. Mit knapp mehr als 75% gewonnener Duelle liegt er aktuell auf Platz 6 in der Liga. Viele Situationen löst Ziereis aber bereits ohne Zweikampf: Durchschnittlich 8.6 Pässe fängt er pro Spiel ab, was ebenfalls Platz 6 bedeutet. Grundsätzlich führt Ziereis eher weniger direkte Duelle, aber diese gewinnt er meist, auch, und das ist etwas überraschend, in der Luft.
Jakov Medić – der Beste auf der Bank?
Mitte September rieben sich viele verwundert die Augen, auch ich, und fragten sich: Wie gut ist eigentlich Jakov Medić? Seine Statistiken zeigten, dass er einer der besten Innenverteidiger der Liga ist (hier der Artikel). Von Anpassungsproblemen nach seinem Aufstieg aus der 3. in die 2. Liga war nichts zu spüren. Medić hat im Sommer einen riesengroßen Schritt in der Entwicklung gemacht und verdiente sich mit richtig starken Leistungen einen Stammplatz.
Ähnlich verwundert wie bei seinen Leistungen, rieb ich mir die Augen, als das Global Soccer Network dann mit einer doch eher ernüchternden Analyse zu Medić um die Ecke kam. Auch wenn dort nachvollziehbar ein Unterschied zwischen dem GSN-Index und den Performance-Daten hergestellt wurde, musste ich mich unweigerlich fragen: Haben wir hier eine rosa-rote Brille auf bei der Bewertung seiner Leistungen? Das werden wir wohl erst in den nächsten Jahren erfahren. Seine Performance in dieser Saison ist jedenfalls über jeden Zweifel erhaben:
Es sind bombastische Werte, die Jakov Medić liefert. Nur zwei Spieler können mehr erfolgreiche Defensiv-Aktionen pro Spiel vorweisen als Medić (Kennedy [Regensburg] und Bussmann [Aue]). Dieser gute Wert speist sich aus vielen direkten Duellen mit sehr guter Quote (mit über 74% gewonnener Duelle liegt er in den Top10). Dazu zählt auch ein überdurchschnittlich guter Wert bei Kopfballduellen.
Hierzu muss ich etwas ausholen: Ich finde die Radar-Grafik sehr schön und man kann vieles auf den ersten Blick erkennen. Ich packe da immer den Median dazu, damit das Bild nicht zu sehr verzerrt wird, wenn einzelne Spieler erheblich besser performen als der Rest. So zum Beispiel bei den Kopfbällen. Da ist mit über 81% gewonnener Duelle nämlich, wie könnte es anders sein, Lasse Sobiech weit vorne. Auf Platz 2 folgt sein Teamkollege Patric Pfeiffer mit „nur“ knapp 67%. Erst wenn man bei der Radar-Grafik den Median mit betrachtet, werden die 61% von Medić ein guter Wert (Top10 um genau zu sein). Ohne Median könnte man den Eindruck gewinnen, dass er da eher mittelprächtig performed.
Ein ganz ähnliches Beispiel sind die geblockten Torschüsse: Hier liegt Medić mit 1.45 pro 90 Minuten meilenweit vorne (Platz 2: 1.13). Wo er ganz nah an Platz 1 liegt, sind die Fouls. Hier ist Ziereis ein kleines bisschen besser. Zurückgefallen auf Platz 2 ist Medić in der Statistik der abgefangenen Bälle. Oder anders gesagt: Ko Itakura, Manchester City-Leihgabe bei Schalke 04, hat da einen riesigen Schritt gemacht im Saisonverlauf. Die 9.8 Interceptions von Medić sind aber weiterhin, wie alles in der Defensive, bärenstark.
Wie auch bei Philipp Ziereis können die Statistiken bzgl. seiner Pässe nicht ganz mit den Defensiv-Statistiken mithalten (auch wenn die Werte da schon auf höhere Aktivität hinweisen als bei Ziereis). Aber dafür gibt es jemand anderen im Kader:
James Lawrence – der Spielmacher
Das war schon ein Brett, dass James Lawrence zu Saisonbeginn und auch im Verlauf der Hinrunde einige Spiele auf der Bank verbrachte. Klar, die Leistungen seiner Innenverteidiger-Kollegen waren stark, aber Lawrence selbst hat auch richtig was zu bieten, wie die Statistiken zeigen:
Heimlich, still und leise hat sich James Lawrence zum besten Zweikämpfer beim FC St. Pauli entwickelt. Nur Robin Bormuth (KSC – leider aktuell verletzt) und Immanuel Höhn (Sandhausen) haben eine bessere Zweikampfquote als die knapp 77% von Lawrence. Dabei beweist er vor allem in den direkten Duellen am Boden seine Stärke (in der Luft hat er noch (haha) Luft nach oben). Grundsätzlich führt James Lawrence aber weit weniger Duelle und hat weniger Defensiv-Aktionen als seinen IV-Kollegen (sogar weniger als der Liga-Durchschnitt). Warum das so ist, kann ich nicht beantworten. Möglich, dass er vieles eher mit Stellungsspiel zu lösen versucht (wenn er dann Duelle führt, gewinnt er sie ja auch meistens). Möglich, dass seine Kollegen vieles lösen und er gar nicht eingreifen muss. Aber auch möglich, dass es hier noch Verbesserungspotenzial gibt.
Verbesserungspotenzial gibt es es am anderen Ende des Aufgabenbereichs für Innenverteidiger nicht. James Lawrence spielt viele gute Pässe. Kein anderer Innenverteidiger hat eine bessere Quote als die knapp 83% von ihm bei Pässen ins Angriffsdrittel. Das ist, für einen Innenverteidger, ein unfassbar starker Wert (ja, da werden auch Marcel Hartel und Leart Paqarada eine Rolle spielen – die linke Seite beim FC St. Pauli ist einfach enorm spielstark). Auch bei den gespielten langen Pässen ist Lawrence vorne dabei (nur ein Spieler hat da eine bessere Quote).
Zudem ist er ein Spieler, der Räume nicht nur für Pässe, sondern auch für eigene Läufe nutzt. Timo Schultz hatte auf der PK vor dem Sandhausen-Spiel die Wichtigkeit des Andribbelns von seinen Innenverteidigern hervorgehoben, da damit eine Überzahl-Situation hergestellt werden kann. Lawrence kann das und macht das auch regelmäßg (lasst euch von dem Maximal-Wert nicht beirren – das ist der Wert von Sebastian Schonlau und der liegt meilenweit vor dem Rest der Liga).
Wen aufstellen?
Erst einmal müssen wir festhalten, dass der FC St. Pauli enorm zweikampfstark ist. Das gilt für die Innenverteidigung, wie auch für den gesamten Rest. Nur zwei Teams haben eine bessere Quote als die 63.7% des FCSP (Kiel und Hannover). Ähnliches gilt auch in der Luft, wo der FC St. Pauli zwar wenig Duelle fürhrt, aber nur fünf Teams mehr Kopfballduelle gewinnen.
James Lawrence hat also neben seiner Stärke im direkten Duell auch für das Offensiv-Spiel des FC St. Pauli einen enorm hohen Stellenwert. Aber sollte man deshalb auf Philipp Ziereis oder Jakov Medić verzichten? Das ist eine ganz schwierige Frage. Denn nirgendwo im Kader scheint die Leistungsdichte so hoch, wie in der Innenverteidigung zu sein. Ich würde mal behaupten, dass alle drei Spieler bei jedem anderen Zweitligist eine Rolle als Stammspieler einnehmen würden. Beim FC St. Pauli gibt es aber eben nur zwei Plätze für drei Spieler, daher muss jedes Spiel ein Top-Innenverteidiger draußen bleiben.
Das Global Soccer Network hatte sich mit dieser Frage auch mal beschäftigt und analysiert, wer da am besten zusammenpasst:
Die Kombination Medić/Ziereis passt schon sehr gut und ist aktuell auch die beste. Unser System macht es ja möglich, zu berechnen, wie gut Spieler anhand ihrer Fähigkeiten zusammenpassen. Medić und Ziereis liegen hier bei 91.29%, ein sehr guter Wert. Alles über 85% ist hier wirklich gut. Auch die Kombinationen Dzwigala und Ziereis sowie Dzwigala und Medić liegen bei 88.01% und 87.43%. Lawrence und Ziereis bei 86.67%.
Global Soccer Network im MillernTon-Interview
Wo ist da eigentlich die Kombination Lawrence/Medić? Timo Schultz hatte mal auf einer Pressekoferenz gesagt, dass Medić sich auf der halblinken Innenverteidiger-Position etwas wohler fühlt. Da Lawrence als Linksfuß hier ebenfalls am besten hinpasst, handelt es sich bei dem Duo scheinbar nicht um ein „perfect match“. Anhand der Statistiken beider, dürfte das jedoch der Fall sein. Der defensivstarke Medić und der Spielmacher Lawrence könnten die beste Wahl sein, wenn Medić auf die halbrechte Position wechseln würde.
Das behandelte Trio setzt wirklich Maßstäbe und so gerät es dann auch fast ein bisschen in Vergessenheit, dass es mit Adam Dźwigała einen grundsoliden Innenverteidiger gibt, der bisher immer seine Leistung gebracht hat, wenn sie benötigt wurde, nun aber eher auf der rechten Abwehrseite eingesetzt wird. Dazu kommt dann noch Marcel Beifus, der ja auch schon ein paar Minuten sammeln durfte und sicher ein Versprechen für die Zukunft ist. Und hoffentlich bekommen wir irgendwann die Nachricht, dass Christopher Avevor wieder auf dem Trainingsplatz steht. Der würde in Sachen Zweikämpfen vermutlich nochmal andere Maßstäbe setzen (zumindest hat er das lange Zeit getan).
Egal, wie man es dreht und wendet: Der FC St. Pauli ist auf der Innenverteidiger-Position richtig stark besetzt.
//Tim
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Laienhafte Verständnisfrage zu Lawrence.
Wenn er die Räume für eigene Läufe nutzt, ist es dann nicht klar, dass er weniger Defensiv-Aktionen hat? Er ist dann ja nicht mehr „hinten“.
Dazu dann noch die vielen guten Pässe und das Spielgeschehen ist erst einmal „weg“ von seiner Position. Würde er viele Fehlpässe spielen, müsste er wahrscheinlich häufiger direkt wieder in den Zweikampf.
Ja, sowas spielt sicher eine Rolle. Aber ich würde eher vermuten, dass es eine untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger ist z.B. wie entschieden wird, wer Wege der Top-Stürmer mitgeht, also die Kette auch mal verlässt und enger bei den Gegenspielern ist. Das macht Lawrence eher weniger, sondern ist komplett Medic überlassen, wenn er denn spielt.