Vorbericht: Hamburger SV – FC St. Pauli (20. Spieltag, 21/22)

Vorbericht: Hamburger SV – FC St. Pauli (20. Spieltag, 21/22)

Es geht Schlag auf Schlag: Nur drei Tage nach dem erfolgreichen Pokalspiel gegen Borussia Dortmund, tritt der FC St. Pauli zur erneuten Stadtmeisterschaft beim Hamburger SV an. Es ist ein echtes Top-Spiel, denn der FCSP trifft auf das wohl spielstärkste Team der Liga, hat aber natürlich selbst auch einiges zu bieten.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Zur Vorbereitung hört euch gerne das „Vor dem Spiel„-Gespräch von Bobby mit Broder-Jürgen Trede an. Broder ist Blindenreporter beim HSV und unter anderem Autor eines Buches, welches wir beim MillernTon mal rezensiert haben.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Einen weiteren Ausfall hat der FC St. Pauli zu beklagen: Igor Matanović wurde positiv auf das Corona-Virus getestet und wird für das Derby nicht zur Verfügung stehen. Timo Schultz sagte auf der PK vor dem Spiel, dass Matanović bisher keine Symptome zeige und es ihm extrem leid tue, dass er fehlt, da er sicher „hochmotiviert“ in dieses Spiel gegangen wäre.
Zudem werden weiterhin Christopher Avevor und Jannes Wieckhoff ausfallen. Wieder mit an Bord könnte Daniel-Kofi Kyereh sein. Der ist im Laufe des Vormittags am Donnerstag mit dem Flieger in Hamburg gelandet und könnte eine Option für das Spiel sein. Schultz sagte, dass man nun erstmal schauen müsse „in welchem Zustand er ist„. Ein Einsatz ist damit alles andere als ausgeschlossen.

Drei sichere Ausfälle – das ist der Stand am Donnerstag. Zwar sagte Schultz, dass schon der ein oder andere Spieler leichte Blessuren aus dem BVB-Spiel davon getragen habe, aber bisher rechnete er damit, dass alle Spieler einsatzbereit für das Derby sein werden. Nur drei Ausfälle ist weiterhin ein enorm guter Schnitt für einen Profifußballklub. Wir hoffen, dass sich nach dem positiven Coronatest von Matanović nicht noch weitere Spieler angesteckt haben und alle Spieler ihre Blessuren aus dem BVB-Spiel rechtzeitig in den Griff bekommen.

Hamburger SV: Wer kann spielen, wer fehlt?

Es gibt einige langzeitverletzte Spieler beim HSV: Tim Leibold hat sich im Herbst einen Kreuzbandriss zugezogen, Josha Vagnoman muss mit einem Sehnenriss aussetzen. Maximilian Rohr und Anssi Suhonen laborieren an Muskelverletzungen.
Angesprochen auf eventuelle Blessuren aus dem kräftezehrenden Pokalspiel in Köln, meinte HSV-Trainer Tim Walter auf der PK, wie üblich kurz angebunden, dass alle zum Spiel fit sein werden.
Also ist auch beim HSV die Auswahl für den Kader ziemlich groß, wenngleich mit Leibold und Vagnoman zwei potenzielle Stammspieler fehlen.

Der HSV war nach der Hinspielniederlage ziemlich bedient.
(c) Peter Böhmer

Was hat der HSV zu bieten?

Tja, wenn man ganz ehrlich ist, dann ist der HSV das spielerisch beste Team der 2. Bundesliga und muss wohl als einer der Top-Favoriten auf den Aufstieg genannt werden. Der HSV stellt nach xG-Werten die beste Offensive der Liga und erzielt deutlich weniger Tore als nach xG wahrscheinlich. Das ist dann auch der Grund, warum der HSV aktuell nicht auf dem ersten Tabellenplatz steht. Besonders in den Heimspielen zeigte sich der HSV richtig stark (xG: 2.6(!) – 1.3).
Bemerkenswert ist, dass der HSV offensiv zwar weniger Tore erzielt, als nach xG wahrscheinlich, aber das Bild defensiv genau andersrum ist: Der HSV fängt sich weniger Tore als nach xG wahrscheinlich. Die nach Toren beste Abwehr der Liga ist also vielleicht gar nicht die beste Abwehr der Liga. Das passt dann, abgesehen von den tatsächlich erzielten Toren, auch mit den anderen Statistiken zusammen: Der HSV hat den meisten Ballbesitz, schlägt die meisten Flanken, spielt die meisten erfolgreichen Pässe ins letzte Drittel und schießt letztlich am vierthäufigsten auf das gegnerische Tor. Das bedeutet zusammen mit den xG-Werten, dass die Qualität der Chancen des HSV enorm hoch ist. Jeder Torschuss hat eine durchschnittliche Torwahrscheinlichkeit von 15% – kein Team hat da einen höheren Wert. Defensiv sieht das dann nicht mehr so spitzenmäßig aus. Der HSV lässt relativ viele Torschüsse zu, hat Schwächen in der Luft und ist, vor allem in der eigenen Defensive, nicht so zweikampfstark.

Der Hamburger SV zeichnet sich unter Tim Walter durch eine doch recht radikale Spielweise aus. Das radikalste Element dabei ist wohl, dass die spielstarke hintere Viererkette im Spielaufbau immer wieder sehr flexibel seine Positionen verlässt und Bereiche im Mittelfeld überlädt. Timo Schultz betonte, dass der HSV trotz dieser Risikobereitschaft die beste Abwehr der Liga stellt (naja…) und dass es ihm „Spaß mache, ihnen beim Fußball zuzuschauen„. Ich habe ihn gefragt, wie der FC St. Pauli auf diese Spielweise reagieren kann:

„Entweder Du spielst Mann-gegen-Mann oder du versuchst das ganze im Raum zu verteidigen, erwartest die Spieler oder versuchst einen Pass abzufangen. Ich glaube wir haben das im Hinspiel sehr gut gemacht, haben versucht es relativ weit hoch zu lösen, haben immer wieder Stress aufgebaut und Balleroberungen gehabt.“

Timo Schultz zur Frage, wie gegen das Aufbauspiel des HSV verteidigt werden kann.

Da Schultz das Hinspiel erwähnt, stellt sich natürlich die Frage, welche Lehren und Infos man aus diesem 3:2-Heimsieg noch mitnehmen kann (um die Spielweise des HSV zu verstehen, kann sicherlich diese Taktik-Analyse genutzt werden). HSV-Trainer Tim Walter betonte auf der PK aber, dass man „gar keine“ Lehren aus dem Hinspiel ziehen kann, denn „Wir haben uns weiterentwickelt, unser Spiel ist besser geworden„. Wohl dem, der so ein Selbstbewusstsein hat.
In der verlinkten Taktik-Analyse ist auch ersichtlich, wie der FC St. Pauli es im Hinspiel gegen die radikale Spielweise des HSV gelöst hat: Mit hohem Pressing und Raumverteidigung. Gerade Letzteres war auch gegen Borussia Dortmund etwas, das sehr gut funktioniert hat. Es ist davon auszugehen, dass das auch im Rückspiel ähnlich angegangen wird, denn der HSV mag vielleicht „besser“ geworden sein, wie Walter behauptet, aber die Abläufe sind vom Grundsatz weiterhin sehr ähnlich.

Sicher ist aber, dass sich der FC St. Pauli auf relativ wenig Ballbesitz einstellen kann (der HSV hat mit durchschnittlich 63% den höchsten der Liga) und auch damit rechnen muss, dass der Gegner hoch pressen wird. Timo Schultz sagte, dass diese Spielweise „Chancen und Risiken“ für sein Team birgt und er bereits einen Plan und Vorstellungen habe, wie man gegen diese radikale Spielweise agieren kann. Zudem hob er einmal mehr hervor, dass er davon überzeugt ist, dass der FC St. Pauli auf das Spiel aufgrund der eigenen Stärken erheblichen Einfluss nehmen kann.

Auf wen gilt es zu achten?

Auf die Kopfballstärke von HSV-Stürmer Robert Glatzel solle man achten, meinte Schultz. Auch Tim Walter wurde auf Glatzel angesprochen und betonte, dass er „viele Dinge annehme und viel arbeite„, ihm aber „eine Zeit lang das Quäntchen Glück gefehlt habe„. Nun hat Glatzel in den letzten drei Ligaspielen viermal getroffen und auch im Pokal das wichtige Tor gegen Köln erzielt. Aus meiner Sicht sind es aber andere Spieler, die beim HSV momentan den Unterschied machen. Zum einen ist Sonny Kittel in dieser Saison enorm stark. Kein Spieler in der 2. Liga spielt mehr wichtige Pässe als Kittel (Platz 2 bei Pässen unter Druck, Platz 3 bei Torschussvorlagen, Platz 2 bei Pässen in den Strafraum, Platz 3 bei Schnittstellenpässen, Platz 1 bei Pässen nah vor das gegnerische Tor). Seine Kreise müssen dringend gestört werden, denn Kittel ist Dreh- und Angelpunkt in der Offensive.
Angesprochen auf die starke Form von Kittel meinte Schultz, dass es ihm guttue von der Außen- auf die Zentrumsposition gewechselt zu sein, da er dort mehr Aktionen habe. Zudem sei das Spiel von Tim Walter, welches „mehr am Boden“ stattfinde, besser auf ihn zugeschnitten.

Die wichtigsten Spieler im Aufbau sind für den HSV Innenverteidiger Sebastian Schonlau, der die meisten Pässe aller Spieler der 2. Liga spielt und enorm starke Bälle nach vorne spielen kann. Auch Außenverteidiger Jan Gyamerah ist wichtig, da er, wenn er denn spielt, wohl mit am häufigsten seine Position auflösen wird. Ebenfalls interessant dürfte die Rolle von Ludovit Reis sein. Der hat zuletzt auf der Achter-Position agiert, besticht mit enormer Spielfreude und ist damit der wohl wichtigste Verbindungsspieler zwischen der Defensive und Offensive des Hamburger SV.

Mögliche Aufstellung

Im ersten Spiel nach der Winterpause startete der HSV mit einem 4-3-3, welches sie in ähnlicher Art auch in der Hinrunde praktiziert haben. Während des Spiels wurde aber auf ein 4-4-2 umgestellt, welches ganz ähnlich zu dem des FC St. Pauli ist. Das haben sie dann auch im Pokalspiel gegen Köln weitergeführt. Für mich daher etwas unklar, ob sie nun weiter in einem 4-3-3 agieren oder aber im neuen 4-4-2 mit zwei Sechsern spielen werden. Aber ich gehe mal davon aus, dass der HSV zu seinem 4-3-3 zurückkehren wird und der FC St. Pauli sich dann entsprechend wie im Hinspiel verhalten dürfte.

Personell stellt sich beim HSV die Frage, ob Miro Muheim oder Jan Gyamerah auf der linken Abwehrseite starten werden. Zudem hatte zuletzt in der Liga Manuel Wintzheimer den Vorzug vor Bakery Jatta erhalten. Im Vergleich zum Hinspiel gibt es eine nicht unerhebliche Veränderung: In der Innenverteidigung ist neben Sebastian Schonlau nun Mario Vuskovic gesetzt, der vor allem im körperlichen Bereich überzeugt und dadurch ganz gut die Schwächen von Schonlau ausgleichen kann. Ebenfalls neu im Vergleich zum Hinspiel ist Faride Alidou, der die linke offensive Außenbahn besetzt. Den umgeben zwar immer wieder Wechselgerüchte, aber bisher läuft er noch für den HSV auf.

Ich bin froh, dass ich so gute Alternativen habe“ sagte Timo Schultz über die Situation in der Innenverteidigung. Ihm wurde die Frage gestellt, ob James Lawrence oder Philipp Ziereis in der Innenverteidigung neben Jakov Medić starten werden. Schultz hob die enorm gute Winter-Vorbereitung von Lawrence hervor, sagte aber auch, dass der Konkurrenzkampf auf dieser Position enorm sei. Entsprechend steht da noch ein Fragezeichen, wer neben Medić starten wird. Ich tippe auf Lawrence.

Wenn Daniel-Kofi Kyereh einsatzbereit gegen den HSV ist, dann rechne ich damit, dass er nicht auf der 10, sondern als zweite Sturmspitze neben Burgstaller zum Einsatz kommen wird. Denn Timo Schultz antwortete auf die Frage, ob Kyereh denn in das neue 4-4-2 passen würde kurz und knapp: „Hervorragend sogar, als zweite Spitze„. Damit würde Kyereh gewissermaßen ein wenig zurückkehren zu seinen Wurzeln, da er diese Position bei Wehen Wiesbaden gespielt hat.
Ich gehe also davon aus, dass der FC St. Pauli auch gegen den HSV sich defensiv in einem 4-4-2 anordnen wird, wenn es brenzlig wird. Allerdings dürfte es der FCSP etwas mutiger und loser spielen, wenn der HSV im Ballbesitz ist, da die Gegenspieler wesentlich eher angelaufen werden dürften als die Spieler des BVB.

Da ist sie also wieder, die Stadtmeisterschaft. Der FC St. Pauli wird alles daran setzen, diese zu verteidigen. Die Erinnerungen an die letzten Derbys sind gut und genau das soll und wird auch nach dem Spiel noch der Fall sein.

(c) Stefan Groenveld

Hamburg ist und bleibt Braun-Weiß – Forza!
// Juri & Tim

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