Vorbericht: SV Darmstadt 98 – FC St. Pauli (31. Spieltag, 22/23)

Vorbericht: SV Darmstadt 98 – FC St. Pauli (31. Spieltag, 22/23)

Samstagabend, Flutlicht, der Gegner womöglich vor dem Aufstieg – auf den FC St. Pauli wartet mit Darmstadt 98 eine ganz schwere Aufgabe. Auf die Lilien aber auch. Der Vorbericht.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Auf dem Weg nach Darmstadt hört gerne das „Vor dem Spiel“-Gespräch von Casche mit Colin und Toni Sailer vom Podcast Lilienliebe.

Ein Blick zurück

Fußballfest
Für mich persönlich war das Hinspiel zweifelsohne eines der Highlights der bisherigen Saison. Zwei Teams, die auf höchstem Zweitliganiveau agierten, trennten sich in einem taktisch enorm interessanten Spiel am Ende leistungsgerecht mit 1:1.

Die Sache mit der Effizienz
Aua-Aua-Aua – Das Aufeinandertreffen im Frühjahr der letzten Saison weckt richtig böse Erinnerungen. Mit 1:2 verlor der FCSP und damit wichtige Punkte im Aufstiegskampf, ließ dabei viele eigene Chancen liegen, während Darmstadt eiskalt die Treffer machte. Das tat richtig weh.

Vergessen, ganz schnell
Und auch das Hinspiel der Saison 21/22 hätte ich lieber nicht mehr noch einmal aus meiner Erinnerung gekramt: 0:4 stand es bereits zur Halbzeit und der bis dahin in der Saison so rauschhafte FC St. Pauli bekam erste Risse. Das sollte sich diesen Samstag bitte nicht wiederholen.

Hamburg, Deutschland, 29.10.2022 - Etienne Amenyido (FC St. Pauli) und Matthias Bader (SV Darmstadt 98) im Duell - Copyright: Stefan Groenveld
Es gibt unzählig viele schöne Fotos von Stefan Groenveld. Ich kann nicht sagen warum, aber finde dieses hier aus dem Hinspiel mit am schönsten.

Lucky Number Seven
Wie kommt es eigentlich, dass Spiele zwischen Darmstadt und dem FC St. Pauli immer solche Banger sind? Jedenfalls war auch das Rückspiel der Saison 20/21, ganz sicher vor allem die letzte Aktion des Spiels, eine, die in jeden Saisonrückblick gehört.

Ein todsicheres Ding
Zu Beginn der Saison 20/21 war der FC St. Pauli ein „Comeback-Kid“, holte mehrfach kurz vor Schluss noch Rückstände auf – so wie beim 2:2 in Darmstadt. Und um den Mythos begeisternder Spiele zwischen diesen beiden Teams aufrecht zu erhalten, stoppe ich den Rückblick hier einfach.

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Zwar kommen die langzeitverletzten Spieler erfreulicherweise Stück für Stück wieder auf den Trainingsplatz zurück, aber ein Einsatz von David Nemeth, Maurides, Igor Matanovic und Etienne Amenyido ist natürlich noch etwas weiter weg.

Unter der Woche trainierten Eric Smith und Leart Paqarada nur reduziert. Während bei Paqarada alles auf einen Einsatz hindeutet, formulierte es Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz im Fall von Smith alles etwas defensiver: „Ich hoffe, dass er heute wieder ins Mannschaftstraining einsteigen kann.“ – klingt nach einem etwas größeren Fragezeichen.

SV Darmstadt 98: Wer kann spielen, wer fehlt?

Zwar hat die Pressekonferenz vor dem Spiel noch nicht stattgefunden, aber es ist davon auszugehen, dass SVD-Trainer Torsten Lieberknecht verhältnismäßig positive Nachrichten rund um die Einsatzfähigkeit des Kaders vermelden kann.

Da es sich bei den möglichen Ausfällen um keine Geringeren als Kapitän Fabian Holland (Entzündung) und Hinspiel-Torschütze Frank Ronstadt (Adduktoren) handelt, dürfte auch klar sein, dass der SV Darmstadt 98 in dieser Saison schon so einiges durchgemacht hat in Sachen Verletzungen. Was ihre aktuelle Tabellenplatzierung umso bemerkenswerter macht.

Was haben die Lilien zu bieten?

„Uns erwartet der kompletteste Gegner, der alle Spielphasen beherrscht. Sie haben auch die Spielertypen dazu. Sie agieren sehr kompakt gegen den Ball, können gut umschalten. Sie sind aber auch mit dem Ball enorm gefährlich, weil sie eine brutale Wucht erzeugen können.“

Fabian Hürzeler über Darmstadt

Ja, dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen. Der SV Darmstadt 98 steht kurz vor dem Aufstieg in die Bundesliga. Und basierend auf vielerlei Punkten wäre dieser hochverdient. Da wäre zum Beispiel die bereits erwähnte Verletzungsmisere, welcher das Team seit Saisonbeginn trotzt. Die Lilien haben bereits letzte Saison am Aufstieg gekratzt und sowieso ist die kontinuierliche Kaderentwicklung in Darmstadt (die teilweise auch daten-basiert ist) beneidenswert und hat so einen Erfolg eigentlich verdient. Und nachdem ich jahrelang den Fußball der Lilien mehr oder weniger verschmäht habe (Danke, Dirk Schuster!), muss auch ich mir eingestehen, dass dieses Team seit Jahren zu einem der spielfreudigsten der Liga gehört und ganz klare Ideen verfolgt, egal ob die Trainer Grammozis, Anfang oder Lieberknecht heißen.

Defense wins Championships

Es gibt ein Merkmal, welches seit längerer Zeit quasi zur DNA des SV Darmstadt 98 gehört: Das Team agiert offensiv wie defensiv sehr effizient. In den letzten Jahren war das häufig offensiv der Fall, aber in dieser Saison bekommen sie es hinten auf die Kette: Mit nur 24 Gegentreffern stellen die Lilien die beste Defensive der Liga, bei einem gegnerischen xG-Wert von knapp 36 (zum Vergleich: Der FCSP hat sich 35 Gegentore bei einem gegnerischen xG-Wert von knapp 31 gefangen). So kommt es dann, dass die Lilien nach expected Points zwar nur das sechstbeste Team der Liga stellen, aber in der realen Tabelle recht einsam und allein oben stehen.

Pizza-Grafik mit Kern-Statistiken des SV Darmstadt 98 (links) und des FC St. Pauli (rechts) nach 30 Spieltagen der Saison 22/23.

Wie kommt es dazu, dass Darmstadt so stabil ist, trotz der vielen Ausfälle, die es im Saisonverlauf gab? Hürzeler betont: „Sie haben die Mentalität. Man merkt, dass da eine Mannschaft auf dem Platz steht, bei der auch wenn Spieler ausfallen sofort der nächste reinkommt und die Ausfälle daher gut ergänzt, gut ersetzt werden“ und ich denke, dass das eine Art weicher Faktor ist, der in diesem Fall kaum hoch genug angerechnet werden kann. Lieberknecht hat es geschafft auch aus Spielern aus der zweiten Reihe immer wieder in den wichtigen Momenten das Maximum herauszuholen, sie auf ein Level zu heben, welches sie eigentlich (noch) nicht erreichen.

„Spielertypen für alle Spielphasen“

Der wichtigste Punkt für den Erfolg des SV Darmstadt ist aber aus meiner Sicht die Ausgeglichenheit im Kader. Hürzeler erklärte, dass im Team Spielertypen für jede Spielphase seien. Und damit trifft er diesen Punkt ganz genau, denn für jede Situation gibt es „Spezialisten“ im Kader. Für Umschaltmomente gibt es Wandspieler Philipp Tietz zusammen mit dem pfeilschnellen Braydon Manu. Für das Ballbesitzspiel gibt es starke „Entwickler“ wie Matthias Bader oder Marvin Mehlem. Für die defensive Kompaktheit gibt es Spieler wie Patric Pfeiffer, der in der Luft nahezu unschlagbar ist. Für besonders enge Situationen offensiv gibt es Mathias Honsak, dem ich sehr gerne beim Fußballspielen zuschaue. Für Standards gibt es Tobias Kempe und ich könnte diese Liste noch um einige erweitern, aber ich denke es wird deutlich, was gemeint ist. Zusätzlich haben alle diese Spieler gemeinsam, dass sie physisch richtig stark sind.

Darmstadt, Deutschland, 20.11.2021 - Jakov Medic (FC St. Pauli) im Duell mit Phillip Tietz und Braydon Manu (SV Darmstadt 98)- Copyright: Peter Boehmer
Jakov Medic im Duell mit Braydon Manu und Philipp Tietz – das dürfte auch am Samstag wieder eine gängige Konstellation sein.
(c) Peter Boehmer

So kommt es dann auch, dass selbst Fabian Hürzeler, der eigentlich auf Pressekonferenzen meist sehr offen über die kleinen oder größeren Schwächen der kommenden Gegner spricht, auf genau diese Frage nur noch einmal die Ausgeglichenheit der Lilien betont und eben davon spricht, dass es kaum Schwächen gebe.

Zu allem Überfluss könnte die Tabellensituation am Samstag, wenn Paderborn beim HSV punktet, auch noch die Möglichkeit für Darmstadt eröffnen, den Aufstieg bereits einzutüten. Und somit könnte sich für den FC St. Pauli eine maximal schwere Aufgabe auftun. Also gar nicht hinfahren? Drei Punkte per Post schicken und zum Aufstieg gratulieren? Natürlich nicht. Hürzeler: „Es wird eine große Herausforderung, aber wir fahren nach Darmstadt, um auch dort zu gewinnen“ und ich mag vor allem das „auch“ in dem Satz, denn der FCSP hat in dieser Rückrunde schon so einige schwere Auswärtsspiele für sich entscheiden können.

Mögliche Aufstellung

Zwischendurch in der Saison probierte Torsten Lieberknecht eine Viererkette, auch weil er verletzungsbedingt dazu gezwungen war. Aber eigentlich basiert das erfolgreiche Spiel von Darmstadt 98 auf einer Dreierkette mit einem klaren Wandspieler und einem oder zwei schnellen offensiven Außen. Die werden wir auch am Samstagabend mit großer Sicherheit sehen. Allerdings ist fraglich, ob Winter-Neuzugang Filip Stojilkovic oder Mathias Honsak auf der linken Seite zum Einsatz kommen werden.

Erwartete Aufstellung beim Spiel SV Darmstadt 98 gegen den FC St. Pauli
Erwartete Aufstellung beim Spiel SV Darmstadt 98 gegen den FC St. Pauli

Mut mit Saad, Physis mit Metcalfe

Viel mehr Fragezeichen gibt es beim FC St. Pauli. Zum einen könnte sich durch die Rückkehr von Eric Smith personell in der Defensive etwas verschieben. In der Offensive könnte Connor Metcalfe wieder anstelle von Elias Saad starten. Vielleicht gibt es aber auch Pläne mit mehr Agilität gegen die Defensive der Lilien zu agieren, was dann eher wieder für einen Saad-Einsatz sprechen würde. Gut trainiert haben eh alle, erklärte Hürzeler und ließ damit alle Optionen offen. Und ganz ehrlich: Ich habe keine Ahnung, welche am wahrscheinlichsten ist und drifte jetzt einfach mal ab und spekuliere:

Die mutige Variante wäre sicher Saad, weil man eben defensiv ein paar Körner lässt, dafür aber offensiv den Gegner mit Tempo schlagen kann, was aus meiner Sicht so etwas wie die einzige Schwäche der SVD-Defensive sein könnte. Doch anders als Bielefeld, die mit Martin Fraisl im Tor nun nicht unbedingt den Maradona am Ball hatten, ist Marcel Schuhen ein sehr viel ballsicherer Torhüter. Entsprechend dürfte das Pressingverhalten mit dem hohen Anlaufen von Saad auch in Richtung Torwart dieses Mal nicht den gewünschten Effekt haben.

Ein Nachteil von Saad ist eine Stärke der Lilien: Körperliche Robustheit. Wenn der FC St. Pauli damit rechnet, dass auch der Gegner öfter den Ball haben wird und man diesen womöglich auch das ein oder andere Mal in hohen Zonen wiedergewinnen möchte und dafür besonders gute Chancen sieht in diesem Spiel, dann ist die Zeit reif für einen Startelf-Einsatz von Connor Metcalfe, der im Gegenpressing und allgemein bei Defensivzweikämpfen dann doch noch ein gutes Stück weiter ist als Saad.

Das beste Team gegen das beste Rückrundenteam

Die Motivation der Lilien dürfte unermesslich hoch sein diesen womöglich letzten Schritt in Richtung Aufstieg daheim am Böllenfalltor am Samstagabend zu gehen. Selbst wenn der HSV am Freitag gewinnt, würde ein Sieg gegen den FCSP sie mit acht Punkten Vorsprung trotzdem sehr schwer einholbar machen. Auf den FC St. Pauli wartet also ein sehr schwere Aufgabe, vermutlich sogar die schwerste seit Fabian Hürzeler Cheftrainer ist. Aber wovor soll sich das Team eigentlich verstecken? Mit einem weiteren Sieg kann man den vereinsinternen Punkterekord für eine Halbserie bereits einstellen. Der Spitzenreiter in der Rückrundetabelle ist der FCSP und um dahin zu kommen, wurden eine ganze Menge Herausforderungen gemeistert. Wieso also nicht Partycrasher in Darmstadt sein, um die eigene Party am Laufen zu halten?

Forza!
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

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6 thoughts on “Vorbericht: SV Darmstadt 98 – FC St. Pauli (31. Spieltag, 22/23)

  1. Danke Tim. Das war vermutlich eine der leichtesten Vorberichte für Dich, zumindest bei der Beurteilung des Gegners. Ich sehe Darmstadt auch als kompletteste Mannschaft diese Saison. Besonders verwundert den Laien das Wegstecken von notwendigen Umstellungen durch Verletzungen. Chapeau, Darmstadt!

    Bei Deiner vermuteten Aufstellung unserer Junxx muss ich allerdings einwenden, dass ich Connor Metcalfe zurzeit in einer Formkrise und ihn eigentlich nicht auf dem Platz sehe. Z.B. nach seiner Einwechslung gegen Bielefeld war er so grottenschlecht, dass ich kurz davor war über den Zaun zu klettern und ihn mal anständig zu schütteln. Seine Körpersprache gefiel mir überhaupt nicht.

    Saad fehlt tatsächlich die Robustheit, was gegen eine Aufstellung spräche. Vielleicht zaubert Fabian ja mal eine Überraschung aus seinem Hut und bringt einen Spieler, mit dem niemand rechnet. Muss ja nicht unbedingt positionsgetreu sein. Ein Aremu könnte die nötige Ruhe bringen?! Nur mal so eine laienhaft Idee.

    Greetz vom Käpt´n Queerpass

    1. Ich habe auch an Johannes Eggestein gedacht, wenn der FCSP Schwächen bei der Agilität der SVD-Defensive sieht. Aber „Schwächen in der Defensive“ trifft eben auch auf Eggestein zu…

  2. Wir brauchen eigentlich gar nicht erst hinfahren, es pfeift derselbe Vollpfosten wie beim 4:0 in der letzten Saison.
    Vor dem 1:0 zieht Tietz mit der einen Hand an Medic‘ Hose, mit der anderen an dessen Trikot, verliert den Zweikampf trotzdem… und bekommt den Freistoß…
    Danach durfte Manu dann noch Medic KO schlagen und die Nase demolieren. Seine Scheiß-Pirouette kann er nächstes Mal meinetwegen beim Eiskunstlaufen drehen. Wir hatten vermutlich noch Glück, dass der Schiri überhaupt nur unterbrach. Gefährliches Spiel, Minimum Gelb und Freistoß für uns hätte es geben müssen. Ich könnte jetzt noch kotzen, wenn ich daran denke.
    Ich meine mich auch noch zu erinnern, dass Gjasula eigentlich hätte rot sehen müssen, aber das hatte dieses Spiel natürlich nicht exklusiv. 😉

      1. Stimmt, stand da schon 4:0, wenn ich es noch richtig weiß. Gjasula hatte wohl auch nicht das Gefühl, dass der Schiedsrichter an dem Tag ernstere Sanktionen gegen die Lilien in Erwägung ziehen könnte. Bei dem Spielstand so ein Foul wäre andernfalls schon ziemlich idiotisch gewesen.

        1. Muss Abbitte leisten. Zwar ganz am Anfang eine Kopie der Szene vom letzten Spiel inklusive derselben Schrottentscheidung. Danach hat er aber die Schauspielertruppe um Impresario Tietz schön auflaufen lassen.
          Ganz netter Abend so insgesamt. 🤪🥳

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