Fünf Erkenntnisse zum Saisonstart

Fünf Erkenntnisse zum Saisonstart

Der Saisonauftakt des FC St. Pauli ist mit vier Punkten aus einem schweren Auftaktprogramm geglückt. Nach einem ereignisreichen Transfersommer gab es einige Fragezeichen vor den ersten Spielen. Nun gibt es aber nach zwei Saisonspielen einige Erkenntnisse, die Mut machen für die weitere Saison.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Ich möchte hier jetzt keinen Fluch heraufbeschwören, aber nach den ersten beiden Auftritten des FC St. Pauli hat sich bereits gezeigt, dass das Team qualitativ und spielerisch zu den besseren Teams der Liga gehört. Nach vielen Jahren, in denen Fragezeichen mit Start der Saison in einer heftigen Ernüchterung endeten, ist das jetzt auf jeden Fall schon einmal richtig positiv. Trotz eines doch recht deutlichen Umbruchs im Kader, scheint das Team so gefestigt, dass es auch in dieser Saison mindestens nicht allzu viel mit der unteren Tabellenregion zu tun haben wird (wie gesagt, ich möchte hier nichts heraufbeschwören).

Die ersten beiden Auftritte, mit dem Heimsieg gegen Nürnberg und dem Last-Minute-Ausgleich in Hannover, waren nicht nur punktemäßig erfolgreich, sondern auch sehr erkenntnisreich. Sowohl in der Offensive als auch in der Defensive gibt es Bereiche, die sich im Vergleich zu Vorsaison nicht nur personell verändert haben. Kurz bevor ich in meinen Urlaub starte (WAAAAS?! Mitten in der Saison?! Ja, muss auch mal sein. Finger und Hirn sind fast alle) möchte ich noch fünf Erkenntnisse des Saisonstarts präsentieren:

(Kommende) Verlässlichkeit in der Defensive

Es waren schon schwierige Szenen, die Dennis Smarsch zusammen mit seinen beiden Innenverteidigern vor allem im ersten Spiel produzierte und überstehen musste. Auch wenn Timo Schultz im Anschluss auf der Pressekonferenz attestierte, dass der FCN sehr gute Bälle in die Schnittstelle zwischen Abwehr und Torhüter spielte, so bleibt eben auch die Erkenntnis, dass es genau hier Verbesserungsbedarf gibt.

Im zweiten Saisonspiel traten diese Probleme nicht so eklatant zutage. Das dürfte auch daran gelegen haben, dass es Hannover 96 nicht auf solche Pässe anlegte, sondern viel eher in Person von Maximilian Beier auf die linke Außenbahn für tiefe Pässe zog. Allerdings gab es durchaus eine Szene, die ein weiteres Abstimmungsproblem offenbarte: Einen Pass an die Strafraumkante erlief Leart Paqarada und spielte ihn zurück zu Dennis Smarsch, der jedoch bereits weit aus seinem Tor gelaufen war. Das Abendblatt (€) hat sich zur Leistung von Smarsch mit Sascha Felter unterhalten, der sich auch bei uns schon einmal ausführlich zu Dennis Smarsch und Nikola Vasilj äußerte.

HANNOVER, GERMANY - JULY 23: Dennis Smarsch, goalkeeper of FC St. Pauli in action during the Second Bundesliga match between Hannover 96 and FC St. Pauli at Heinz von Heiden Arena on July 23, 2022 in Hanover, Germany.
Dennis Smarsch hatte vor allem beim Heimspiel gegen den 1. FC Nürnberg Abstimmungsprobleme mit seinen Vorderleuten.
(Martin Rose/Getty Images/via OneFootball)

Felter führt im Gespräch mit dem Abendblatt aus, dass gerade das Erlaufen von langen Bällen, die Abschätzung dieser Situationen, so etwas wie die Königsdisziplin für einen Torhüter ist. Er betont, dass hier einzig die Erfahrung aus Einsätzen helfen wird und diese nicht durch Training ersetzt werden kann, denn „Es fehlen die Lautstärke, das Tempo eines Pflichtspiels, zudem kennt man die Tendenzen der Mitspieler viel besser als die der Gegenspieler. Meine Empfehlung: Einfach ausprobieren, mit der Erfahrung kommt dann ein besseres Gefühl“. Entsprechend seien die Schwierigkeiten für Smarsch auch nicht verwunderlich, da er erst wenige Einsätze auf diesem Level habe. So scheint es also berechtigte Hoffnung zu geben, dass sich die Abstimmungsprobleme zwischen Torhüter und Abwehr in naher Zukunft stark verbessern werden.

(K)eine Ausgeglichenheit auf den Außenbahnen

Im Artikel zur Einzelkritik nach dem Hannover-Spiel wurde es bereits herausgehoben, nun möchte ich das noch einmal betonen: Sagenhafte 118 Ballkontakte hat Leart Paqarada gegen Hannover gehabt. Damit ist er weit vorne im team-internen Vergleich. Das war er meist auch schon in der Vorsaison und da wurde das irgendwann zum Problem. Denn der FCSP wurde dadurch ausrechenbar für die Gegner. Auch in der neuen Saison agiert der FCSP bislang linkslastig im Aufbau, wie die hohe Anzahl an Ballkontakten von Paqarada zeigt. Aber es deutet sich an, dass es sich dabei nicht mehr um ein Problem handelt. Timo Schultz sagte dazu auf der Pressekonferenz vor dem Spiel gegen Hannover: „Es spricht gar nichts dagegen, wenn wir über unsere dominante linke Seite eröffnen. Wir müssen aber noch häufiger den Seitenwechsel hinbekommen„.

Genau diese Verbesserung konnten wir dann im Spiel gegen Hannover auch erkennen: Der FC St. Pauli verlagerte öfter die Seite, der neue Rechtsverteidiger Manolis Saliakas wurde sehr viel häufiger in das Spiel einbezogen. Gegen Nürnberg wurde er 20x angespielt. Gegen Hannover 96 waren es bereits 35 Pässe, die zu ihm kamen. Es wurde deutlich, dass der FCSP auf diese Seitenverlagerungen ein besonderes Augenmerk gelegt hat, so wie Timo Schultz es gefordert hatte.

Trotz dieser Steigerung kann das Aufbauspiel des FC St. Pauli aber auch weiterhin nicht als ausgeglichen bezeichnet werden. Da es sich bei Leart Paqarada um den wohl spielerisch stärksten Linksverteidiger der Liga handelt, ist das nicht weiter bedenklich, sofern es dem Team gelingt, im richtigen Moment auch die andere Seite mit einzubinden. Das scheint nun Stück für Stück zu geschehen. So ist die Erkenntnis der ersten beiden Spiele, dass sich auf der rechten Abwehrseite und bei der Spielweise des FC St. Pauli richtig was getan hat. Und, auch das haben die ersten beiden Auftritte von Saliakas gezeigt, trotzdem noch viel mehr möglich erscheint.

Deutschland, Hannover, 23.07.2022, Fussball 2. Bundesliga 2. Spieltag, Hannover 96 - FC St. Pauli in der Heinz von Heiden Arena Manolis Saliakas (FC St. Pauli) im Zweikampf mit Derrick Koehn (Hannover 96)
Manolis Saliakas hatte in seinem zweiten Saisonspiel bereits sehr viel mehr Spielanteile als zum Saisonstart.
(c) Peter Böhmer

Stabilität im Mittelfeld

Für mich ist die Stabilität im Mittelfeld die größte und überraschendste Erkenntnis. Aber auch eine, um die ich mir die größten Sorgen mache. Das Mittelfeld des FC St. Pauli zeigte in den ersten beiden Saisonspielen, dass es mehr Verantwortung übernimmt. Vor allem Eric Smith und Marcel Hartel (sind beide auch neu im Mannschaftsrat) sorgten beim Spiel gegen Nürnberg zusammen mit Paqarada dafür, dass es dem FCN in der zweiten Halbzeit nicht gelang so etwas wie Druck aufzubauen. Sie sorgten mit gutem Pass- und Stellungsspiel in einem ansonsten sehr unruhigem Spiel dafür, dass der FCSP stets die Kontrolle behielt. Auch beim Spiel gegen Hannover waren es genau diese Spieler, die in der zweiten Halbzeit, zusammen mit einer taktischen Umstellung, für das dominante Auftreten des FC St. Pauli sorgten.

Diese Souveränität lässt sich übrigens auch an den Passquoten ablesen: Marcel Hartel brachte diese Saison (ja, small sample size, also vorsichtig, da Aussagekraft begrenzt) über 90% seiner Pässe erfolgreich zum Mitspieler. Letzte Saison waren es weniger als 83%. Die Passquote von Eric Smith stieg im Vergleich zur Vorsaison um vier Prozentpunkte (von weniger als 81 auf etwas mehr als 85%). Wie geschrieben, es handelt sich um erst zwei Spiele, sodass die Passquoten noch nicht die große Aussagekraft besitzen. Aber es wurde bereits ersichtlich, dass das zentrale Mittelfeld des FC St. Pauli einen stabileren Eindruck macht, als noch in der Vorsaison.

Diese Veränderung dürfte nicht nur daran liegen, dass Hartel seine Passquote so stark verbessert hat (was wohl auch dadurch zustande kommt, dass er in etwas tieferer Position agiert). Denn endlich scheint Eric Smith in seinem Spiel stabil geworden zu sein und hat damit einen neuralgischen Punkt des FCSP-Spiels aus der Vorsaison, die Sechser-Position, zu einer echten Stärke umgewandelt. Ich hoffe sehr, dass Smith so fit bleibt, wie er es aktuell ist. Aber genau deshalb ist es auch die Veränderung zur Vorsaison, die aus meiner Sicht am fraglisten ist. So ist man in den ersten beiden Spielen erneut zu der Erkenntnis gekommen, welche Königstransfers der FCSP im letzten Jahr mit den Verpflichtungen von Smith und Hartel getätigt hat.

Ein echter Zehner

Nein, Daniel-Kofi Kyereh wurde nicht ersetzt. Und nach den ersten beiden Spielen dürfte auch klar sein, dass das wohl nicht mehr mit einem Transfer getan wird. Wozu auch? Mit Lukas Daschner hat sich endlich ein Spieler in den Vordergrund spielen können, auf dessen Durchbruch lange Zeit gewartet wurde. Bereits zum Ende der letzten Saison deutete Daschner seine Fähigkeiten an. Mit Start der neuen Saison wurde er den Erwartungen vorerst gerecht. So hat der FC St. Pauli auch weiterhin einen echten Zehner im Kader (und kann dadurch auch an seiner Formation festhalten).

Deutschland, Hamburg, 16.07.2022, Fussball 2. Bundesliga 1. Spieltag, FC St. Pauli - 1. FC Nuernberg im Millerntor-Stadion Jubel bei Lukas Daschner (FC St. Pauli) nach seinem Tor zum 3:0
Lukas Daschner zeigte mit seinen ersten beiden Auftritten in dieser Saison, dass er die Zehnerrolle beim FCSP sehr gut auszufüllen weiß.
(c) Peter Böhmer

Zwar ist die Anzahl der Ballverluste von Daschner höher als bei Kyereh und der bisherige Ertrag in Form von Torschussbeteiligungen, entscheidenden Pässen, etc. niedriger. Aber wir müssen aufpassen wie wir hier den Vergleich ziehen. Denn Kyereh ist trotz einer Vertragsrestlaufzeit von nur noch einem Jahr für eine Rekordablöse in die Bundesliga gewechselt. Es ist komplett unrealistisch, dass Lukas Daschner diese Rolle als Unterschiedsspieler sofort übernehmen würde. Aber er ist, und das ist eine sehr positive Erkenntnis, viel näher dran, als viele erwartet haben. Und damit darf sich der FC St. Pauli darüber freuen einen Zehner im Kader zu haben, der den Ansprüchen der zweiten Liga bereits mehr als genügt und von dem noch weitere Entwicklungsschritte zu erwarten sind (übrigens läuft sein Vertrag nach Saisonende aus…).

Durchschlagskraft in der Offensive

Machen wir es kurz: Trotz bereits fünf Treffern aus zwei Spielen fehlt es der Offensive an Durchschlagskraft. Denn zieht man die drei Standardtore ab (einmal Paqarada per Elfmeter, zweimal Irvine per Kopf), dann kommt die Trefferanzahl sehr viel näher an die xG-Werte heran (durchschnittlich 1.3 pro Spiel, wenn man die verschiedenen Anbieter berücksichtigt). Da ist in der Vorsaison mehr bei herumgekommen (durchschnittlicher xG: 1.6) und das bei etwa gleicher Anzahl an Torschüssen. Auch hier gilt, dass die sample size noch ziemlich klein ist, aber es ist ein Hinweis darauf, dass offensiv aus schlechteren Positionen der Abschluss gesucht wird.

Deutschland, Hamburg, 16.07.2022, Fussball 2. Bundesliga 1. Spieltag, FC St. Pauli - 1. FC Nuernberg im Millerntor-Stadion David Otto (FC St. Pauli) im Zweikampf mit Tim Handwerker (1. FCN)
David Otto konnte in den ersten beiden Spielen noch nicht wirklich zeigen, dass er dem Status eines Zielspielers gerecht wird.
(c) Peter Böhmer

Diese nicht optimale Positionierung könnte auch damit zusammenhängen, dass in der Offensive jemand fehlt, der das Können und die Erfahrung besitzt, sich viel häufiger zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu befinden, als es bisher der Fall war. Denn nicht nur die Anzahl der Torschüsse, auch viele weitere Offensivaktionen (Pässe ins letzte Drittel, Anzahl Flanken, Anzahl Positionsangriffe) haben sich im Vergleich zur Vorsaison nicht maßgeblich verändert. Lediglich die Anzahl an Ballverlusten hat sich verändert: Sie ist deutlich gewachsen, obwohl das Team weniger lange Bälle in die Spitze spielt, als noch in der Vorsaison.

Ja, es ist sehr früh hier schon einzig anhand der Daten Erkenntnisse zu ziehen. Die Daten decken sich aber sehr gut mit dem visuellen Eindruck: Es fehlt ein Zielspieler. Oder es fehlt den aktuellen Zielspielern im Kader noch am Feintuning. Es fehlt jemand, auf den sich gegnerische Abwehrreihen konzentrieren können, sodass sich die talentierten Offensivspieler um ihn herum noch weiter entfalten können.
Das ist keine Neuigkeit, aber der aktuell sehr positive Eindruck sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Offensive (noch) an Durchschlagskraft fehlt. Denn ich würde es vor allem der Stabilität im Mittelfeld zuschreiben, dass die ersten beiden Spiele so gut liefen.

Immer weiter vor!
// Tim

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10 thoughts on “Fünf Erkenntnisse zum Saisonstart

  1. Vielen Dank für den zwar frühen aber interessanten Artikel. Sebastian Andersson soll sich auch einen neuen Verein suchen. Könnte ich mir auch gut als großen Zielspieler, welcher direkt helfen kann, vorstellen.

      1. Hatte ich bei Burgstaller erst auch nicht für möglich gehalten. Ich bin gespannt was noch passiert und habe leise Hoffnung auf einen erfahrenen Hochkaräter wie Andersson.

  2. Hi Tim,
    erstmal wünsche ich Dir einen erholsamen Urlaub!

    Du hast die Innenverteidigung gar nicht erwähnt, optisch haben für mich hier Jakov und Adam nicht überzeugt, was im Defensiven verhalten an der ausbaufähigen Abstimmung mit Smarsh liegen kann. Im Aufbau mit dem Ball sehe ich nach den ersten beiden Spielen jedoch noch einige Luft nach oben.

    Ich bin gespannt wie sich diese Position im Laufe der Saison entwicklet, was das Duo David Nemeth und Betim Fasliji zeigen wird, wenn sie zusammen auf dem Platz stehen. Das Duell der beiden mit Jakov um die Startplätze werde ich mit Interesse verfolgen. Bei Adam denke ich eher, dass er weiter von der Bank kommen wird. Marcel Beifus hat ja in der letzten Saison auch seine Leistung gezeigt und wird Spielzeit fordern.

    Nach deinem Urlaub 🙂 würde mich hierzu deine Einschätzung interessieren. Welche der beiden Positionen passt denn am besten zu dem jeweiligen Spieler, welches Pärchen ergänzt sich am besten etc. (wenn ich mich recht erinnere hast Du das in den letzten Jahren auch aufgedröselt)

    Gruß Mats

    1. Moin Mats,

      ja, da gebe ich dir vollkommen recht, in Sachen Spielaufbau ist das Duo Medic/Dzwigala wohl nicht das beste. Und ja, ich erwarte auf lange Sicht auch einen Dreikampf Fazliji/Nemeth/Medic und vermute, dass sich die beiden Neuen auch dauerhaft durchsetzen könnten.
      Ich drösel das gerne mal auf. Wir haben ja mit dem Glbal Soccer Network einen Partner, der sowas auch anhand von Daten berechnet, da könnte man spannende Antworten bekommen.

      1. Danke bin gespannt.

        Und stimmt das letzte Mal hat das GSN doch ne Kombi empfohlen, die so nie auf dem Platz stand. 🙂 War das nicht James und Adam?

        Freue mich auf diene Analyse.

  3. „Ich möchte hier jetzt keinen Fluch heraufbeschwören…“

    Tim hat also Schulle auf dem Gewissen. Damit wird mir hier einiges klarer.

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