Vorbericht: 1. FC Nürnberg – FC St. Pauli (18.Spieltag, 22/23)

Vorbericht: 1. FC Nürnberg – FC St. Pauli (18.Spieltag, 22/23)

Am Sonntag sind 77 Tage des Wartens vorbei – der FC St. Pauli startet beim 1. FC Nürnberg in die Rückrunde der Saison 22/23. Zu erwarten ist ein enges Duell, vor dem es einige Fragezeichen gibt.
(Titelbild: Peter Böhmer)

Zur Vorbereitung auf das Spiel empfehle ich das „Vor dem Spiel“-Gespräch von Yannick mit Fadi, der bereits häufiger zu Gast war und ich persönlich höre die Gespräche mit ihm jedes Mal sehr gerne.
Da der 1. FC Nürnberg und der FC St. Pauli nun schon ein bisschen länger in der gleichen Liga spielen und es den MillernTon-Blog auch schon ein paar Jahre gibt, wurde auch schon ein bisschen was geschrieben. Schaut mal hier:

  • Offenes Visier, fast belohnt
    Die Saison 20/21 ist noch jung und das 2:2 zuhause war so etwas wie die Geburtstunde von Rodrigo Zalazar. Und damals war auch noch gar nicht so klar, wie tief es für den FCSP noch gehen würde. Schwer verletzt hatte sich in dem Spiel übrigens ein gewisser Guido Burgstaller…
  • (ich liebe diese) Taktikanalyse
    Wir überspringen das dunkle Kapitel der Saison 20/21. Marmoush und Burgstaller heißt das junge Traum-Duo und die Siegerbilder sind auch noch blutjung. Hach, das waren Zeiten.
  • Wo ein Wille ist, sind auch drei Punkte
    Fabian Hürzeler feiert beim Spiel in Nürnberg seine Premiere als Cheftrainer des FC St. Pauli. Aber im Rampenlicht stehen in Nürnberg kennt er aus der letzten Saison. Timo Schultz fehlte corona-bedingt Ende November 2022. Der FCSP gewann ein intensives Spiel etwas glücklich.
  • Tragik, Liebe, ihr wisst schon…
    Einige Monate später fehlte ich corona-bedingt. Das Gefühl, dass mir der Stecker gezogen wird, habe ich aber auch zuhause gehabt. Das war ganz schön heftig!
  • Erfolgreiche Standortbestimmung
    Hach, wie unbefleckt die Saison noch war. Wie naiv ich war. Wie begeistert ich von „gnadenloser Effizienz“ gewesen bin. Wie ich noch dachte, dass es im Jahr 22/23 vielleicht doch hoch hinaus geht…

FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?

Sicher ausfallen für den Rückrundenauftakt werden drei Innenverteidiger: Christopher Avevor befindet sich noch im Aufbautraining, ebenso David Nemeth, dessen Rückkehr auch noch nicht absehbar ist. Verboten ist ein Einsatz von Betim Fazliji, der nach seinem Platzverweis gegen Fortuna Düsseldorf noch eine Partie aussetzen muss.

Ebenfalls nicht einsatzfähig sind Luca Zander und Etienne Amenydio, wie Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz erzählte. Beide haben während der Vorbereitung immer wieder mit Blessuren zu kämpfen gehabt und waren leider nur sehr selten im Trainingsbetrieb dabei.
Trotz dieser Ausfälle ist der Kader weiterhin recht üppig besetzt, sodass einige Spieler sicher nicht mit nach Nürnberg fahren werden. Wer das ist, da ließ Hürzeler sich nicht in die Karten schauen. Etwas Klarheit dürfte es aber bereits am Samstag geben, wenn die U23 gegen den TSV Bordesholm ein Testspiel bestreitet und da womöglich schon der ein oder andere Spieler aus dem Profikader dabei ist.

Hamburg, Deutschland, 27.12.2022 - Fabian Hürzeler leitet als Cheftrainer das Training des FC St. Pauli - copyright: Peter Boehmer
Fabian Hürzeler bestreitet am Sonntag in Nürnberg sein erstes Pflichtspiel als Cheftrainer des FC St. Pauli.
(c) Peter Boehmer

1. FC Nürnberg: Wer kann spielen, wer fehlt?

Die Liste an Spielern mit Startelf-Potenzial im Lazarett der Nürnberger ist relativ lang. So sehr, dass in der Winterpause sogar noch Spieler hinzukamen, die nun aber teilweise ebenfall ausfallen. Stamm-Torhüter Christian Mathenia fehlt aufgrund einer Schulterverletzung. Um das aufzufangen wurde Peter Vindahl Jensen vom AZ Alkmaar ausgeliehen.

Ganz schweren Herzens muss das Wiedersehen mit James Lawrence ausfallen. Er laboriert an einem Innenbandriss im Knie. Nach langer Pause aufgrund von Rückenproblemen ist mit Florian Hübner ein weiterer Innenverteidiger wieder im Mannschaftstraining. Ein Einsatz in der Startelf gegen den FCSP kommt aber vielleicht etwas zu früh. Ganz frisch ins Training eingestiegen ist Offensivkraft Taylan Duman, der ebenfalls lange aussetzen musste und entsprechend auch keine Option für den Sonntag darstellen wird, wie Markus Weinzierl auf der Pressekonferenz vor dem Spiel erzählte.

Kritisch ist die Situation auf der linken Abwehrseite: Erik Wekesser und Tim Handwerker haben sich beide Kreuzbandverletzungen zugezogen und sind noch ziemlich weit weg vom Team-Training (Handwerker ist zumindest wieder auf dem Platz). Entsprechend musste der FCN im Winter reagieren und verpflichtete Jannes Horn vom VfL Bochum, um das Loch auf der linken Abwehrseite zu schließen. Wenige Tage nach seiner Ankunft verletzte Horn sich leider am Meniskus, musste operiert werden und wird einige Zeit ausfallen.

Was hat der FCN zu bieten?

Mit schon recht ähnlichen Ambitionen wie der FC St. Pauli ist der 1. FC Nürnberg in die Saison gestartet. Man mag sich etwas verwundert die Augen reiben, aber als sich diese beiden Teams am 1. Spieltag dieser Saison gegenüber standen, war das nicht viel weniger als ein Spitzenspiel und viele sahen darin ein Duell um den Aufstieg. Nun, zum Start der Rückrunde, schauen sowohl der 1. FC Nürnberg, aber auch der FC St. Pauli eher nach unten.

Nach der 2:3-Niederlage am Millerntor zum Auftakt holte der FCN noch drei Siege mit Robert Klauss als Trainer an der Seitenlinie. Nach einer 0:3-Niederlage am 10. Spieltag beim KSC wurde er entlassen. Markus Weinzierl übernahm den Trainerposten und das löste bei vielen FCN-Anhänger*innen, gelinde gesagt, eher verhaltene Freude aus.

Doch auch der Wechsel auf der Trainerbank konnte nicht das zentrale Problem des Teams lösen. Der FCN stellt mit nur 16 Treffern die ungefährlichste Mannschaft der Liga. Unter Weinzierl erzielte das Team magere sieben Tore in sieben Ligaspielen. Das ist sicher zu wenig. Allerdings: Von diesen sieben Spielen verlor der FCN nur zwei. Und somit dürfte auch klar sein, worauf Markus Weinzierl seinen Fokus legt.

Pizza-Grafik mit Kern-Statistiken des 1. FC Nürnberg nach 17 Spieltagen in der 2. Bundesliga 22/23.

In den Testspielen hinterließ das Team laut Fabian Hürzeler körperlich einen guten Eindruck („Sie wirken sehr fit, sehr austrainiert“). Sein Team müsse sich darauf gefasst machen sehr direkt mit den Gegenspielern konfrontiert zu werden: „Sie spielen sehr mannorientiert, speziell in der letzten Linie.“ Daher sei es wichtig „ihnen diese Mannorientierung nicht zu geben, weil sie in der letzten Linie sehr gut nach vorne verteidigen.“ Sehr ausführlich beschreibt Hürzeler die individuelle Klasse der Nürnberger im zentralen Mittelfeld und Angriff, welche besonders dann zum Tragen kommt, wenn sie Ballgewinne generieren:

„Und wenn sie die (Bälle, A.d.R.) haben, dann schalten sie extrem gut um über Tempelmann, der das Mittelfeld schnell überbrücken kann, über Duah, der sofort Tiefgang hat und Daferner, der als Wandspieler in der letzten Linie agiert, plus Dæhli, der nicht greifbar ist, gut im Zwischenraum agiert und schlaue Entscheidungen trifft.“

Fabian Hürzeler über die FCN-Offensive.

Es ist in der Tat etwas verwunderlich, dass der 1. FC Nürnberg offensiv so wenig auf die Kette gebracht hat in der Hinrunde angesichts der durchaus vorhandenen individuellen Qualität. Denn hinter den beiden Stamm-Angreifern Duah und Daferner drücken gleich eine ganze Reihe von Spielern: Felix Lohkemper, Erik Shuranov (der von Weinzierl auf der PK ein Sonderlob für seine Vorbereitung bekam), Pascal Köpke, Lukas Schleimer und der aus der U23 hochgezogene Jermain Nischalke. Zudem wurde mit Danny Blum im Winter eine Offensivkraft mit viel Erfahrung verpflichtet. An Konkurrenzkampf sollte es im Kader der Nürnberger also nicht mangeln.

Die Statistiken des FCN sprechen aber eine sehr eindeutige Sprache: Nicht nur die Toranzahl, sondern auch die xG-Werte sind die niedrigsten der Liga. Und abgesehen von der Pressingintensität (PPDA) gibt es eigentlich keine Statistiken, die, wenn überhaupt, durchschnittlich sind oder einen klaren Hinweis auf die Spielweise geben. Der FCN ist offensiv in der Hinrunde sehr von Einzelaktionen seiner Spieler abhängig gewesen. Die Ergebnisse zeigen, dass das (trotz hoher individueller Qualität) nicht so wirklich geglückt ist.

Allerdings: Defensiv stehen die Franken recht stabil. Zwar lassen sie verhältnismäßig viele Torschüsse zu, die haben aber generell eher einen niedrigen xG-Wert. Nur vier Gegentore hat sich das Team in den letzten sechs Partien vor der Winterpause gefangen. Der FCN lauert auf Konter, der FCSP zeigte zuletzt auch, dass sie primär defensiv sicher stehen möchten: Es könnte sich also zu einem ziemlichen Geduldsspiel entwickeln am Sonntag.

Hamburg, Deutschland, 16.07.2022 - David Otto (FC St. Pauli) im Spiel gegen den 1. FC Nürnberg - copyright: Peter Boehmer
David Otto dürfte in Nürnberg als zentrale Spitze zum Einsatz kommen.
(c) Peter Boehmer

Mögliche Aufstellung

Zwar steht die Defensive des FCN recht stabil, aber fraglich ist, wie genau sie das machen werden. Denn anders als der FCSP, wurde während der Testspiele immer wieder die Formation geändert. Zumeist begann das Team mit einer Viererkette, wechselte dann aber im Verlauf der Partie auf eine Fünferkette. Fabian Hürzeler geht jedenfalls von einer Fünferkette aus: „Ich glaub, dass Castrop sich immer wieder in die Kette reinfallen lässt, wenn wir ihn hoch binden und dementsprechend erwarte ich sie schon mit einer Fünferkette.“

Hürzeler meint damit Jens Castrop, der eigentlich im rechten Mittelfeld zuhause ist und dort auch, zumindest nominell zum Einsatz kam zuletzt. Allerdings lässt er sich anscheinend recht oft „binden“, wie Hürzeler es nennt. Er reagiert also mannorientiert auf seinen Gegenspieler und wenn dieser recht hoch steht, dann ist Castrop auch eher Teil einer Fünferabwehrkette als im rechten Mittelfeld beheimatet. Ich finde dieses Beispiel zeigt sehr gut, wie fein die Unterschiede sein können und wie entscheidend individuelle Fähigkeiten und Spielweisen sind, wenn es um taktische Gegebenheiten geht.

Erwartete Aufstellung für die Partie 1. FC Nürnberg – FC St. Pauli

Selten, eigentlich noch nie seit ich Vorberichte für die Spiele des FC St. Pauli schreibe, konnte ich mir so sicher sein, dass die vermutete Aufstellung des FCSP auch jene sein wird, die am Wochenende aufläuft. Fabian Hürzeler hat in den Testspielen in der Vorbereitung überhaupt kein Geheimnis daraus gemacht, wer zu seiner Stammformation gehört. So konnte man diese auch schon in aller Seelenruhe Anfang der Woche in einem Artikel aufarbeiten (Auf der sicheren Seite). Und vermutlich wird es genau deshalb dann doch die ein oder andere Überraschung geben…

Ein komisches Gefühl

Ja, es fühlt sich irgendwie alles komisch an. Die Freistellung von Timo Schultz hallt immer noch nach. Sie wird vermutlich für sehr lange Zeit eine der emotionalsten sein, die es jemals beim FC St. Pauli gegeben hat. Unabhängig davon, wie diese Entscheidung nun aus sportlicher Sicht bewertet wird, so ist dann doch eine große Identifikationsfigur gegangen. Entsprechend schwer fällt es nun wieder zum „business as usual“ zurückzukehren. Ich mache da kein Geheimnis aus meiner Gefühlswelt: Mir fällt das auch sehr schwer.

Aber egal, wie schwer es auch fallen mag, so darf sich daraus niemals eine Gleichgültigkeit dem jetzigen Kader, dem Trainerteam oder gar dem gesamten Verein gegenüber entwickeln. Allein die Tatsache, dass so eine Personalentscheidung solche Emotionen hervorruft zeigt schon ganz gut, wie sehr viele von uns an diesen Verein gebunden sind.
Der FC St. Pauli befindet sich zum Start der Rückrunde in einer Position, die ziemlich schnell gefährlich werden kann. Und da sich nach einer langen Vorbereitung immer einige Fragezeichen bezüglich der Leistungsstärke eines Teams ergeben, ist dieses erste Spiel in Nürnberg ein richtiger Gradmesser. Ein Spiel, bei dem wir sehen können, wie groß der Schritt in der Vorbeitung gewesen ist und in welche Richtung er gegangen wurde.

Forza!
// Tim

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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.

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2 thoughts on “Vorbericht: 1. FC Nürnberg – FC St. Pauli (18.Spieltag, 22/23)

  1. Da können wir nur hoffen, dass der „Gradmesser“ weniger trügt als in der Hinrunde…

    Ich gebe zu, nach der Vorbereitung hat sich bei mir ein positives Gefühl eingeschlichen, trotz der Fragezeichen, die in der Offensive bleiben. Die Mannschaft spielt klarer, schneller und dynamischer in ihren Strukturen als noch unter Schultz, das Offensivpressing funktioniert (inkl. Absicherung) erstaunlich gut mit der Umstellung auf drei Spieler in der ersten Pressingreihe und defensiv wirkt das Team bei weitem nicht mehr so anfällig für das simple „Langholz“-Spiel, mit dem wir oft so gar nicht klar kamen.
    Auch mit Blick auf das Toreschießen bin ich verhalten optimistisch. Manche Kommentare über die „Harmlosigkeit“ unserer Offensive nach den Testspielen gegen Mannschaften, die individuell schlicht auch deutlich besser besetzt waren, waren eh eher komischer Natur (Hey – wir haben zwei Top-Mannschaften der Liga über uns nicht an die Wand gespielt: Skandal!). Aber auch das Testspiel gegen die Dänen zeugte vor allem davon, wie stark dort im Verbund verteidigt wird. Ich habe mir das Nürnberger Spiel gegen Prag direkt danach auch noch angeschaut und war baff, wie krass die Unterschiede gerade im Bereich Raumaufteilung und Verschieben zwischen Midtjylland und den Nürnbergern waren. Ich bin mir sehr sicher, dass wir gegen Nürnberg deutlich mehr Chancen sehen werden. Nur reingehen muss der Ball dann noch (das war ja auch das Hauptproblem bisher)!
    Also: Vieles stimmt, um an einen guten RR-Start zu glauben. Wenn es denn nur kein Auswärtsspiel wäre…

  2. „ Aber egal, wie schwer es auch fallen mag, so darf sich daraus niemals eine Gleichgültigkeit dem jetzigen Kader, dem Trainerteam oder gar dem gesamten Verein gegenüber entwickeln. Allein die Tatsache, dass so eine Personalentscheidung solche Emotionen hervorruft zeigt schon ganz gut, wie sehr viele von uns an diesen Verein gebunden sind.“

    Das ging mir seit gestern durch den Kopf, nachdem jemand anderes mir dieses Zitat weiterleitete. Ich hatte es nicht gelesen, aus Gründen. Mir ist das Empfinden der Verbundenheit mit dem Verein – „gebunden“ sowieso nicht – nach Schultz Entlassung nämlich nachhaltig abhanden gekommen. Nicht wegen Schultz selbst, sondern als Tropfen (ok, Kelle), der das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht hat.

    Ein Freund tickerte mich während des Spiels an: „Guckst du?“ Antwort: „Nee, kein Bock.“ Das Ergebnis löste keinerlei Freude aus, mehr noch mehr Wut, angesichts des Unterschiedes, den diese drei Punkte in der Tabelle machen. Wäre Schultz mit drei Punkten mehr also nicht entlassen worden? Und die kümmerlichen drei Punkte sollten also womöglich einen Unterschied gemacht haben bei einer Entscheidung, die ans Selbstbild des Vereins rührt?

    Oder, und da hört eben die Verbundenheit auf, ist das Selbstbild der Vereinsführung inzwischen doch ein anderes? Das ist mein Eindruck. Und dann ist das, solange es diese Vereinsführung gibt, eben nicht mehr der Verein, dem ich mich verbunden fühle. Was auch mit ihrem Handeln in Bezug auf die Mannschaft und ihre Zusammenstellung zu tun hat. Das und erst den Aufstieg und nun wieder ein Stück Seele und Identität gekostet hat.

    Im Moment gibt es nichts mehr, was mich hält. Außer die Leute, die aber auch hier wären, wenn wir mit Schultz, Makienok und Lawrence in der Dritten Liga spielen würden.

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