Samstagabend, Flutlicht, Millerntor – der FC St. Pauli empfängt als Tabellenführer den 1. FC Nürnberg und möchte den vierten Erfolg in Serie holen. Der Vorbericht.
(Titelbild: Peter Böhmer)
Im „Vor dem Spiel“-Gespräch hat sich Luca mit Sebastian Gloser unterhalten, der den 1. FC Nürnberg als Journalist begleitet. In dem Gespräch ging es nicht nur um die bisherige Saison und das Spiel gegen den FC St. Pauli, sondern auch um die Lehren aus der Vorsaison und die Verpflichtung von Niklas-Wilson Sommer (kennt ihr nicht?! Dann solltet ihr reinhören!).
Ein Blick zurück
Der 1. FC Nürnberg ist ein gern gesehener Gegner des FC St. Pauli. Die letzte Niederlage aus FCSP-Sicht gab es im Mai 2015: Eine 0:1-Auswärtsniederlage am 33. Spieltag als es um nichts mehr ging. Schmerzhafter war da schon das Hinspiel in der Saison, als der FCN durch einen Doppelpack eines gewisses Niclas Füllkrug und zwei weitere Treffer den FCSP am Millerntor mit 4:0 besiegte. Doch seit Mai 2016 ist die Lage eine ganz andere: Von den zwölf Spielen seitdem konnte der FC St. Pauli sieben gewinnen, spielte fünf Mal Unentschieden. Eine Auswahl an Spielberichten:
- Mai 2020, FCSP vs. FCN 1:0 – Aus Nix mach Drei!
- Oktober 2020, FCSP vs. FCN 2:2 – Offenes Visier, fast belohnt
- Februar 2021, FCN vs. FCSP 1:2 – (Ich liebe diese) Taktikanalyse!
- November 2021, FCN vs. FCSP 2:3 – Wo ein Wille ist, sind auch drei Punkte!
- April 2022, FCSP vs. FCN 1:1 – Tragik, Liebe, ihr wisst schon…
- Juli 2022, FCSP vs. FCN 3:2 – Erfolgreiche Standortbestimmung
- Januar 2023, FCN vs. FCSP 0:1 – Grausam schön
FC St. Pauli: Wer kann spielen, wer fehlt?
Sicher ausfallen wird beim FC St. Pauli einzig Scott Banks aufgrund seines Kreuzbandrisses. Bei allen anderen Spielern ist ein Einsatz zumindest nicht ausgeschlossen. Allerdings klingen die Worte von Fabian Hürzeler auf der Pressekonferenz vor dem Spiel zu den Einsatzzeiten von Maurides und Simon Zoller eher danach, als wenn sie noch die Länderspielpause zur Vorbereitung auf ihre ersten Einsatzminuten diese Saison (für den FCSP) bekommen:
„Wir bauen beide behutsam auf. Simon war fünf Wochen raus, da müssen wir noch die Belastung steuern. Auch bei Mauri ist es wichtig, dass wir nicht zu schnell zu viel wollen. Wir müssen ihm da auch Zeit geben. Genau für diese Spieler kommt die Länderspielpause zum richtigen Zeitpunkt. Wir können die Zeit nutzen, um sie noch näher an die Mannschaft heranzuführen, sodass sie danach Spieler sind, die nicht nur eingesetzt werden, sondern auch von Anfang an spielen können.“
Fabian Hürzeler zur Einsatzfähigkeit von Simon Zoller und Maurides
1. FC Nürnberg: Wer kann spielen, wer fehlt?
Bei den Gästen aus Nürnberg werden vier Spieler ganz sicher fehlen: Innenverteidiger Christopher Schindler fällt mit einem Kreuzbandriss lange aus. Rechtsverteidiger Jannik Hofmann fehlt aufgrund eines Schlüsselbeinbruchs, den er sich bei einer Fahrradtour im Trainingslager zugezogen hat. Offensivkraft Daichi Hayashi, Leihgabe aus Belgien, glänzte zu Saisonbeginn, muss aber bereits das vierte Spiel in Serie aufgrund von Problemen an der Achillesferse aussetzen. Zudem muss der FCN auf Jens Castrop verzichten, der in acht Spielen fünf gelbe Karten gesammelt hat und daher zuschauen muss.
Was hat der FCN zu bieten?
Einen aus meiner Sicht überraschend guten Saisonstart hat der 1. FC Nürnberg hingelegt. Nach der Niederlage zum Start gegen Hansa Rostock, folgten drei Siege, drei Remis und nur eine weitere Niederlage. So liegt das Team mit 12 Punkten im Liga-Mittelfeld. Ein Sieg am Millerntor würde aber das Vordringen in die Spitzengruppe der Liga bedeuten. Auffällig: In acht Spielen blieb der FCN nur ein einziges Mal ohne eigenen Treffer. Allerdings spielte man auch nur ein Mal zu Null.
Dieser gute Saisonstart geht einher mit einer doch recht starken Veränderung auf dem Platz. Und damit sind gar nicht mal primär die neuen Spieler gemeint, von denen es aber auch einige gibt. Die wichtigste Veränderung fand auf der Trainerbank statt: Cristian Fiél, vorher Co-Trainer hinter Dieter Hecking und davor Trainer der U23 des FCN, ist seit Sommer Cheftrainer (er war bereits 2019 Cheftrainer von Dresden in der 2. Liga). Mit ihm hat sich die Spielweise der Nürnberger klar verändert, wie auch Fabian Hürzeler erzählt: „Cristian Fiél hat eine klare Idee, wie er spielen will. Die hat er damals auch in Dresden gehabt“ und führt aus, dass der Fokus unter Fiél auf spielerischen Lösungen liege und darauf, mit dribbelstarken Spielern gefährliche Situationen zu erzeugen. In welchen Bereichen der 1. FC Nürnberg gut zurechtkommt, zeigen die beiden Pizza-Grafiken:
Fokus auf Dribblings
Nur die Nachbarn des FCN von der SpVgg Fürth suchen häufiger das direkte Duell im Offensivspiel, als der 1. FC Nürnberg. Die Quote erfolgreicher Offensivduelle (beste der Liga) spricht dabei klar für diese Spielweise. Das Team setzt dabei weniger auf Flanken (da kommen wir später nochmal zu). Viel eher geht es darum, mit flachen Pässen oder eben Dribblings nahe ans gegnerische Tor zu kommen. Das gelingt sehr zuverlässig: Die Torwahrscheinlichkeit pro Torschuss beträgt beim FCN fast 15 Prozent, was ligaweit Platz vier bedeutet (beim FCSP sind es nur zehn Prozent – Platz 16).
Im Spielaufbau agiert der FCN von der Positionierung her relativ ähnlich wie der FCSP: Mit Hilfe der beiden Außenverteidiger, die sich im Aufbau in die Halbräume bewegen, wird das Zentrum überladen und so versucht, die beiden offensiven Außenbahnspieler in direkte Duelle zu bekommen. Zudem verfügen sie laut Hürzeler mit Super-Talent Can Uzun und Mats Møller Dæhli über zwei Achter, die „gut sind am Ball und immer wieder Lösungen in engen Räumen finden.“
Eine Gefahr gehe laut Hürzeler von den Nürnberger Umschaltmomenten aus: „Sie sind so positioniert, dass sie bei Ballverlust sofort in die Tiefe kommen.“ Die verhältnismäßig hohe Quote von rund 38 Prozent Vorwärtspässen an der gesamten Anzahl an Pässen zeigt diese mutige und vertikale Spielidee in den Statistiken recht klar an.
Anfälligkeit in der Luft?
Die Defensiv-Statistiken des 1. FC Nürnberg zeichnen das Bild einer soliden bis guten Defensive. Das Team lässt insgesamt knapp 14 Torschüsse pro Spiel zu, was ziemlich genau dem Liga-Durchschnitt entspricht. Auffällig ist aber, dass genau die Hälfte dieser Torschüsse von außerhalb des Strafraums abgefeuert werden, ein ausgesprochen hoher Wert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass es die Nürnberger in der wirklich heißen Zone, also im eigenen Strafraum, sehr gut wegverteidigt bekommen. Das Team gesteht dem Gegner nur eine sehr geringe Anzahl an Ballkontakten im eigenen Strafraum zu.
Anfällig scheint der FCN allerdings über Flanken zu sein: Zwar lassen sie auch davon ziemliche wenige zu, aber fast 43 Prozent der gegnerischen Flanken kommen an. Zudem zählt das Team eher zu den kopfballschwächeren der Liga. Auf die Frage nach einem möglichen Fokus auf Flanken sagt Hürzeler: „Es ist definitiv ein Element, welches wir forcieren wollen und auch forcieren werden,“ ergänzt aber, dass es sehr schwierig sei, sich gegen den dichten Defensiv-Verbund der Nürnberger Chancen zu erspielen.
Mögliche Aufstellung
Christian Fiél setzt in Sachen Formation immer auf eine Viererkette und offensive Außenbahnspieler. Mal sind da zwei Achter und ein Sechser dabei, mal eine klare Zehn, mal zwei Stürmer. Entsprechend schwierig ist es vorherzusehen, wie der FCN gegen den FCSP auflaufen wird. Zumal der FC St. Pauli gegen ein 4-3-3 (wird defensiv oft zum 4-5-1), welches von Fiél zuletzt favorisiert wurde, bisher gute Lösungen parat hatte. Ich gehe trotzdem mal mit dieser Formation.
Wer ersetzt Castrop?
Mehrere Fragezeichen gibt es bei der personellen Aufstellung. Auf der linken Abwehrseite taten sich diese Saison bereits zwei Spieler mit guten Leistungen hervor: Tim Handwerker und Nathaniel Brown. Auf der Pressekonferenz wollte sich Fiél keine Infos dazu entlocken lassen, welcher der beiden die Nase vorn hat. Als Ersatz für Castrop in der Mittelfeldzentrale kämen Taylan Duman und Can Uzun infrage. Uzun wäre laut Fiél „denkbar, aber auch sehr offensiv gedacht.“ Der erst 17-jährige hat diese Saison bereits mit einigen guten Leistungen (schon vier Treffer) aufhorchen lassen, kam zuletzt aber nur von der Bank zum Einsatz. Ob die Variante mit Duman da defensiver wäre, wage ich aber zu bezweifeln. Zudem hat sich der lange verletzte Felix Lohkemper mit seinem Treffer zum 1:0-Erfolg des FCN gegen Magdeburg für mehr Einsatzzeit empfohlen. Er könnte Lukas Schleimer aus der Startelf verdrängen.
Härtefall Connor Metcalfe
Ein einziger personeller Wechsel ist beim FC St. Pauli zu erwarten, der hat es dann aber in sich: Jackson Irvine dürfte in die Startelf zurückkehren. Connor Metcalfe wird wohl, trotz ansprechender Leistungen in den letzten drei Spielen, weichen müssen. Fabian Hürzeler betonte auf die Frage nach beiden Spielern die spielerischen Qualitäten von Metcalfe, dass er immer die Bälle fordere, Torgefahr austrahle und aggressiv verteidige. Bei seinen Ausführungen zu Irvine startete er mit einem Satz, der die Frage nach einem Einsatz von Irvine eigentlich klar beantworte: „Jackson ist mein Kapitän.“ Zudem sei dieser als Kommunikator wichtig, der mit seiner Spielweise dem Team defensive Stabilität verleihe, aber auch in der gegnerischen Box präsent sei. Ich persönlich habe Bauchschmerzen beim Gedanken, dass Connor Metcalfe auf der Bank sitzen muss. Allerdings ist an einem fitten Duo Hartel/Irvine aktuell einfach kein Vorbeikommen.
Kein Vorbeikommen dürfte es an allen anderen Spielern geben, die zuletzt zweimal in Folge in der Startelf standen. Johannes Eggestein hat sich mit guten Leistungen vorne festgespielt. Auch die offensiven und defensiven Außenbahnen sind gut besetzt, wobei ich tatsächlich hinter Manos Saliakas ein klitzekleines Fragezeichen setzen möchte, da Philipp Treu ihn sehr gut vertrat.
Vor der Länderspielpause steht also das nächste Top-Spiel für den FC St. Pauli an. Nachdem mit Kiel, Schalke und Hertha gleich drei Teams in Serie geschlagen werden konnten, die, zumindest vom Kader her, ins obere Tabellendrittel gehören, kommt nun ein anderes Kaliber ans Millerntor: Der 1. FC Nürnberg ist im Saisonverlauf immer besser ins Rollen gekommen, ist zudem reifer in den spielerischen Ansätzen einzuschätzen, als die drei Gegner zuvor. Man darf sich also erneut auf spielerische Qualität freuen, dieses Mal auf beiden Seiten. Und auch auf den Rahmen, den dieses Spiel bekommt, wie Fabian Hürzeler sagt: „Flutlicht, ausverkauftes Millerntor, 20:30 Uhr – das ist was besonderes. Wir freuen uns darauf. Ich hoffe, dass wir es wieder schaffen, die Energie durch unsere aggressive Spielweise auf das Publikum übertragen zu können.“
Forza!
// Tim
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Sofern nicht anders markiert, stammen sämtliche Statistiken von Wyscout.
Wie gewohnt eine sehr gute Betrachtung des Gegners, aber mit dem Weggang von Nürnberger in die Bundesliga ist mir mein Lieblingswitz zum Club genommen, gerade wenn es gegen uns oder die Walter-Truppe geht – und so vermute ich einfach, dass auf der Position Handwerker gemeint ist, der sich auch für Wortspielereien anbietet, die wir ja nie machen, aber Nürnberger, der einzige Hamburger auf dem Feld, nicht ersetzen kann
Hehe, ja, da ist mir ein Fehler unterlaufen. Im besten Fall ist es halt ein random Nürnberger, der da links hinten spielt. Der sollte aber Handwerker heißen 😉
Handwerk(lich)er-Typo bei der Aufstellung oder ist Nürnberger zurück in Nürnberg?😜
Hehe, Weltklasse-Kommentar, habe gerade laut im Büro aufgelacht. Der Linksverteidiger ist Handwerker, klar. Aber das ist halt auch ein Nürnberger 😉
vielen dank für die wie immer fachlich (und emotional) einwandfreie einstimmung auf das morgige spiel (natürlich durch die braunbweiße brille). wegen mir könnte es direkt losgehen. ich hab bock!
manos hat ne berufung zur nationalmannschaft bekommen, weswegen ich davon ausgehe, daß er von beginn an aufläuft.
die erfahrung aus den vorangegangenen spielen lehrt, daß die gegner gegen uns gerne von ihren gewohnten spielsystemen abrücken und defensiver spielen (natürlich nur die, welche sonst mutiger sind), weshalb ich denke, daß das morgen bei nürnberg genauso sein wird. sie werden hinten dicht machen und auf konter lauern. kann mir kaum vorstellen, daß die versuchen werden, mitzuspielen. aber wie wir sehen konnten, beherrschen wir ja fast jede art, den ball im gegnerischen tor unterzubringen, flanken auf den kopf, ball im 16er am boden, freistoß, fernschuß… das wird schwer für nürnberg, da heil durch zu kommen…
im artikel wurde ja beschrieben, daß nürnberg probleme bei flanken hat. wäre doch die gelegenheit für jackson „airvine“, seine torflaute der aktuellen saison endlich hinter sich zu lassen.
eher unwahrscheinlich aber auch ne option wäre andreas statt jojo im sturmzentrum, um noch mehr torgefahr durch flanken/kopfball auszustrahlen…
wir haben so enorm viele möglichkeiten in dieser saison, unglaublich. und wir spielen mit einer solchen selbstverständlichkeit… der absolute wahnsinn! gegen braunschweig hatte ich es das letzte mal gesehen, daß wir uns nach einsnull führung zurück gezogen haben. deswegen haben wir dann auch noch den ausgleich kassiert. gegen kiel, schalke und hertha gab es nie einen zweifel daran, wer das feld als sieger verläßt. auch wenn es gegen hertha nochmal spannend wurde, weil wir den sack nich zugemacht hatten.
und so wird es auch morgen wieder sein. wir werden unser spiel spielen, wie wir es die vergangenen wochen taten. keine länderspielpause hat uns aus dem rhythmus gebracht, ob in dieser gefreundschaftspielt wurde oder frei war. ich unterschätze nürnberg keineswegs. irgendwann wird es auch passieren, daß wir in rückstand geraten. vielleicht schon morgen. aber ich weiß schon heute, wer morgen als sieger vom platz geht… sport frei!