Ein (fast) perfektes Jahr

Ein (fast) perfektes Jahr

Am Sonntag endet die Aufstiegssaison des FC St. Pauli mit der Partie in Wiesbaden. Ein Rückblick auf eine äußerst erfolgreiche Spielzeit.
(Titelbild: Peter Boehmer)

Die Vorzeichen waren bereits vielversprechend: Der FC St. Pauli hatte eine Rekord-Rückrunde 22/23 gespielt. Das ließ bereits vor Start der Saison 23/24 die Ansprüche steigen. Zwar verließen den FCSP zwei wichtige Stammspieler (Lukas Daschner und Leart Paqarada), aber die wichtigsten Säulen der Vorsaison konnten gehalten werden. Mehr noch: Mit Hauke Wahl und der endgültigen Verpflichtung von Karol Mets schloss man die Baustelle Innenverteidigung. Dass Neuzugang Philipp Treu zusammen mit Lars Ritzka die durch Paqaradas Abgang offene Planstelle links hinten so gut schließen, vielleicht qualitativ sogar noch etwas verstärken würde, damit war dann aber eher nicht sofort zu rechnen.

Selbstbewusst vor Saisonauftakt

Mit Danel Sinani und Andreas Albers gab es noch zwei weitere Neuzugänge vor Saisonstart. Und vor diesem präsentierte sich, unter anderem nach vielen überzeugenden Testspielen, Fabian Hürzeler sehr selbstbewusst. Heute wissen wir, dass seine Führungsspieler zu dem Zeitpunkt bereits intern das Ziel „Aufstieg“ ausgerufen hatten. Auch Andreas Bornemann wählte angenehm klare Worte. Anfang Juli sagte er im kicker-Interview: „Wir sehen die Rückserie nicht als Bürde, sondern als Verpflichtung“ und erklärte: „Wir wollen ausdrücklich nicht großspurig wahrgenommen werden, aber es geht schon darum, dass wir uns nicht kleinmachen. Wir machen kein Hehl daraus, dass wir sehr ambitioniert sind.“

Auch beim MillernTon war eine positive Vorfreude auf die Saison vorhanden. Die Prognose: Top 6, mindestens„Und vielleicht ist es ja eines dieser Jahre, in denen es mal von vorne bis hinten perfekt durchläuft, das Team von schweren Verletzungen verschont bleibt und die Sturm-Thematik gelöst wird.“
Genau diese „Sturm-Thematik“ war dann auch DAS Thema kurz nach dem Saisonstart. Auf ein hart erarbeitetes 2:1 in Kaiserslautern (Kein Schönheitswettbewerb auf dem Betzenberg) folgten drei Ligaspiele ohne eigenen Treffer (und der Abgang von Jakov Medic). Zwar traf auch jeweils der Gegner nicht, allerdings war die Offensivproblematik offenkundig. Dem FC St. Pauli fehlte in dieser Saisonphase nicht viel, aber eben doch die Durchschlagskraft ganz vorne – (k)eine Frage der Qualität.

Sturm-Thematik wird von Eggestein gelöst

Kurz nach Saisonbeginn wurde auch noch Scott Banks verpflichtet, der in drei Kurzeinsätzen aufblitzen ließ, dass er dem FC St. Pauli richtig helfen könnte. Dann aber, beim 1:1 des FCSP in Braunschweig, riss er sich das Kreuzband. Und sowieso war dieses Unentschieden ein deutlicher Dämpfer vor der ersten Länderspielpause der Saison. Fünf Spiele, ein Sieg, vier Unentschieden, 3:2 Tore – der Start in die Spielzeit war gut, aber doch nicht ganz das, was sich viele vor Beginn erhofft hatten.

Hoffnung hatte man dann vor allem in Simon Zoller gesetzt, der kurz vor Ende der Transferperiode überraschend zum FC St. Pauli wechselte – und damit Fortuna Düsseldorf einen Korb gab. Für Zoller sollte es eine Saison mit extrem wenig Spielzeit werden. In der Länderspielpause fand ein Rekordspiel am Millerntor statt, Jackson Irvine verletzte sich und Andreas Bornemann erklärte, dass man in dieser Saison alle Spieler im Kader benötige, auch Johannes Eggestein. Wie recht er damit haben sollte, zeigte sich kurze Zeit später. Denn nach der Länderspielpause trat Eggestein dann, nach mehr als einem halben Jahr mit ganz wenig Spielzeit, recht plötzlich in den Vordergrund.

Hamburg, Deutschland, 17.09.2023, 2. Bundesliga, Fussball - Die Spieler des FC St. Pauli feiern einen Treffer im Spiel gegen Holstein Kiel. - Copyright: Peter Boehmer DFL regulations prohibit any use of photographs as image sequences and/or quasi-video.
Mit 5:1 gewann der FC St. Pauli am Millerntor gegen Holstein Kiel. Am Saisonende feierten beide Clubs den Aufstieg in die Bundesliga. // (c) Peter Boehmer

In vier Siegen an die Tabellenspitze

Auf den guten, aber ergebnistechnisch nicht überragenden Saisonstart des FCSP folgte die vermutlich beste Phase der Spielzeit: Nach dem Sieg mit Traumtoren gegen Kiel (Connor Metcalfe erzielte das Tor des Monats September), dem emotionalen Flutlichtspiel gegen Schalke (von dem es Wochen später eine Wiederholung geben sollte), einem rauschhaften Erfolg vor Traumkulisse in Berlin und dem bärenstarken 5:1 gegen Nürnberg, stand der FC St. Pauli plötzlich an der Tabellenspitze – und das völlig verdient. Und nach diesen vier Partien war Johannes Eggestein kaum mehr aus der Startelf wegzudenken, wie die Zahlen zeigten.

Mit dieser Tabellenführung ging es in die nächste Länderspielpause, gefolgt von einem 2:2 in Paderborn. Damals, als es gerade Herbst wurde, kam langsam ein Thema angekrochen, welches den FC St. Pauli fortan quälend lange Zeit beschäftigte. Doch zu Beginn klang das noch vielversprechend, denn Fabian Hürzeler sagte im Oktober 2023 zu den Verhandlungen um seinen auslaufenden Vertrag. „Wir können noch nichts vermelden, aber die Hoffnungen der Fans sind definitiv berechtigt.“ Wir schrieben damals: „Die Tatsache, dass sich beide Parteien öffentlich überhaupt und dann auch noch sehr positiv äußern, lässt stark darauf hoffen, dass es recht bald positive Nachrichten gibt.“ Ha, Ha, Ha…

Hype Train nimmt Fahrt auf

Sportlich passte weiterhin vieles zusammen. Nach dem Unentschieden in Paderborn (wo zum ersten Mal Lösungen gegen die Spielweise des FCSP präsentiert wurden) gab es Siege gegen den KSC (tolles Tor von Philipp Treu!), in der zweiten Pokalrunde gegen Schalke und in Elversberg. Dann gab es ein 0:0 am Millerntor gegen Hannover. Vom Spiel sprach danach allerdings kaum noch jemand. Vielmehr waren nach Abpfiff die Szenen im Gästeblock Thema. Der FC St. Pauli gewann im Anschluss auch das Spiel in Rostock – zwischen Kackstart und Zitterende war dabei ganz toller Fußball zu sehen. Und wo toller Fußball ist, da sind auch tolle Spieler. Looking at you, Eric and Cello!

Doch eine beeindruckende Hinrunde endete für den FC St. Pauli mit einem Dämpfer. Nein, nicht mit der ersten Saisonniederlage, dafür aber mit drei Unentschieden in Folge. Das erste gegen den HSV war noch verkraftbar (wenn auch enttäuschend aufgrund des Spielverlaufs). Die beiden Punktverluste gegen Osnabrück, nachdem man unter der Woche das Pokal-Viertelfinale erreicht hatte, und Wiesbaden taten dann aber schon weh. Die Herbstmeisterschaft schnappte sich Holstein Kiel und für den FCSP ging es mit Hausaufgaben in die Pause. Kurz zuvor freuten wir uns aber riesig, dass wir endlich einen Podcast mit Fabian Hürzeler aufnehmen konnten.

Drei Siege zum Rückrundenstart

Fabian Hürzeler rückte dann spätestens mit Beginn der Rückrunde mehr und mehr in den Fokus. Nicht aber, weil das Team gut in die zweite Saisonhälfte startete, sondern weil sich seine Vertragssituation langsam aber sicher zu einer Hängepartie entwickelte. Der starke Start mit drei Siegen in den ersten drei Ligaspielen wurde allerdings durch das Ausscheiden im Pokal-Viertelfinale gegen Düsseldorf geschmälert. Trotzdem: Dass der FC St. Pauli so gut ins Jahr 2024 war vielleicht nicht unbedingt zu erwarten gewesen. Denn mit Jackson Irvine und Connor Metcalfe fehlten zwei Stammspieler. Winter-Neuzugang Aljoscha Kemlein konnte das teilweise auffangen (der hochveranlagte Erik Ahlstrand greift dann hoffentlich in der Bundesliga an).

Die Tabelle nach 20 Spieltagen, der FCSP hatte zu diesem Zeitpunkt bereits 42 Punkte gesammelt, ließ eigentlich nur noch wenig Zweifel daran, dass am Saisonende gefeiert werden darf. Aber klar, auf so viel Euphorie musste ein Dämpfer folgen: Die erste Saisonniederlage für den FC St. Pauli gab es am 21. Spieltag gegen den 1. FC Magdeburg auf einem wirklich rumpeligen Fußballplatz. Der dürfte die FCSP-Kicker an die heimische Kollaustraße erinnert haben. Die dortigen Rasenplätze waren nämlich so grauenhaft, dass es das Team für einige Tage nach Mallorca zog – eine schwierige Angelegenheit.

Hängepartie Hürzeler-Vertrag mit wenig Einfluss auf Leistungen

Schwierig waren auch weiterhin die Vertragsverhandlungen zwischen dem FC St. Pauli und Fabian Hürzeler (und zwischen der DFL und möglichen Partnern). Auswirkungen auf dem Platz hatte das aber nicht: Der FCSP gewann ein schwieriges Spiel gegen Braunschweig und ein noch schwierigeres Spiel in Kiel – auch dank der Stärke von Dapo Afolayan, der sich in der Rückrunde besonders hervortat und dessen Treffer weiterhin ein Garant für Siege sind.

Das Problem: Nach dem Kiel-Spiel folgte die Niederlage auf Schalke, bei der sich mit Afolayan und Smith zwei ganz wichtige Spieler auch noch verletzten. Für den FC St. Pauli schien eine besonders schwierige Phase der Saison zu beginnen. Denn von allen Seiten trudelten bereits Glückwünsche zum Aufstieg herein. Da ist es gar nicht so einfach, einen freien Kopf zu bewahren. Fabian Hürzeler rief jedenfalls ein „Zurück zu den Wurzeln“ aus und, womöglich noch wichtiger, unterschrieb einen neuen Vertrag (Verlängerung mit Hindernissen).

Hamburg, Deutschland, 12.05.2024, Fußball, 2. Bundesliga, FC St. Pauli - VfL Osnabrück Fabian Huerzeler feiert zusammen mit den FCSP-Fans den Aufstieg in die Bundesliga. Copyright: Stefan Groenveld
Fabian Hürzeler darf sich ab kommender Saison Bundesliga-Trainer nennen – und hat daran sehr, sehr großen Anteil.
// (c) Stefan Groenveld

Auf die Niederlage gegen Schalke gab der FC St. Pauli eine beeindruckende Antwort: Trotz großer Verletzungssorgen gab es Siege gegen Hertha, Nürnberg und Paderborn. In zwei dieser drei Spiele war ein Klassenunterschied erkennbar. Und den gab es auch in der Tabelle: Elf Punkte Vorsprung nach 27 Spielen – Zweifel am FCSP-Aufstieg waren kaum noch vorhanden (Phrasen gegen Glückwünsche). Doch erneut zeigte sich, dass auch nur die kleinste Nachlässigkeit sofort bestraft wird. Nach Niederlagen gegen den KSC und Elversberg war Fortuna Düsseldorf auf fünf Zähler herangerückt (Hat hier jemand ‚Panik‘ gesagt?).

Sieg in Hannover als Brustlöser

Klar, alle Punktgewinne in einer Saison sind wichtig. Aber der Sieg des FC St. Pauli bei Hannover 96 war für viele so etwas wie das endgültige Auftreten des Tores zur Bundesliga, das Wegwischen aller aufkommenden Zweifel. Beeindruckend dabei, wie im Team mit Druck umgegangen wird, besonders weil es in dieser Phase alles nicht mehr ganz so leicht fiel. Nachdem dann auch noch Hansa Rostock am Millerntor bezwungen wurde, war klar, dass der FC St. Pauli zum ersten Mal seit 70 Jahren eine Saison vor dem HSV beenden würde. Mehr noch: Vor der Stadtmeisterschaft hatte der FCSP plötzlich Matchbälle.

Aber nein, die vermutlich einmalige Chance, beim Stadtrivalen den Aufstieg einzutüten, blieb dem FC St. Pauli verwehrt. Vielleicht auch ganz gut so, denn Aufsteigen am Millerntor ist dann vielleicht doch viel schöner. Jedenfalls stand mit einem Sieg gegen den VfL Osnabrück dann endlich fest: Der FC St. Pauli steigt in die Bundesliga auf! Und wohl alle (inklusive mir), die gedacht haben, dass sie aufgrund der Vorhersehbarkeit dieses Ereignisses emotional etwas kühler reagieren würden, wurden eines Besseren belehrt. Der grenzenlose Jubel auf dem Platz, die Tränen, die Freude – so schön und so verdient.

Wir hol’n die Meisterschaft…

Lange Zeit ist es dem FC St. Pauli nicht gelungen, zwei gute Halbserien in einer Saison hinzubekommen. Dieses Mal war das anders. Das Qualitätslevel von Kader und Spielidee, das Grundrauschen des FC St. Pauli, alles so enorm hoch, dass selbst in schwierigeren Phasen Spiele gewonnen werden konnten. Nun steht zum Saisonabschluss eine weitere Herausforderung an: Nach all den Emotionen und der Feierei soll die Saison mit einem Sieg in Wiesbaden und der Meisterschale gekrönt werden. Das würde das Wort in Klammern aus der Überschrift einfach im Rausch des Titels verpuffen lassen. Verdient hätte es das beste Team der 2. Bundesliga – der FC St. Pauli.
// Tim

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3 thoughts on “Ein (fast) perfektes Jahr

  1. Interessant auch noch mal in die zwischendurch verlinkte Vorschau vor 10 Monaten zu gucken: https://millernton.de/2023/07/25/was-geht-fuer-den-fc-st-pauli-23-24/

    Sowohl was unsere Spieler, das System und auch die Konkurrenz angeht. Kiel tauchte da erst unter “vielleicht auch” auf und von den Absteigern hat sich die Hertha dann doch besser geschlagen, trotz der noch zusätzlichen Unruhe. Hut ab vor Tommy, der in den Kommentaren auch noch den KSC ins Spiel bringt

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